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NordWest FAKTOR Informationen und Positionen zum Gesundheitswesen 02/24 Happy End oder Tragödie? Zahlreiche Gesetze sind vor der Sommerpause noch auf den Weg gebracht worden. Unklar ist indes, ob die Werke zu Bestsellern werden. Tom Ackermann Vorstandsvor- sitzender der AOK NordWest D ie Parlamente von Bund und Ländern verabschieden sich in die Sommerpause. Dank dem Bundesgesundheitsminis- ter dürften einige Abgeordne- te ausreichend Urlaubslektüre im Gepäck haben. Kurz vor den Parlamentsferien haben er und seine Ghostwriter ihre Bestsel- lerliste noch einmal deutlich erweitert. Zu den Neuerscheinungen zählen unter anderem die Apotheken- und Notfallreform und das Gesundes-Herz-Gesetz. Kein Bereich der Gesundheitsversorgung bleibt ausgeklammert. Über die inhaltliche und handwerkliche Qualität der einzelnen Werke und deren Wirkung scheiden sich die Geister. Doch in einem sind sich die Kritiker einig: Diese Ge- setzesprosa ist keine Trivialliteratur. Sie ist viel zu bedeutsam und komplex, um unkommentiert oder gar unreflektiert auf den Markt gebracht zu werden. Bester Beleg ist die Krankenhaus- reform. Happy End oder doch eher Tragödie? Das Schlusskapi- tel im Gezerre zwischen Bund und Ländern bleibt vorerst offen. Die sommerliche Denkpause wäre eine gute Gelegenheit, sich auf den verbindenden roten Faden zu besinnen: Eine leis- tungsfähige Gesundheitsversorgung zu organisieren, die sich am Bedarf der Menschen ausrichtet und weiterhin bezahlbar bleibt. Das Bewirtschaften einzelner Sektoren ist jedenfalls keine zukunftsfähige Option. Ebenso wenig wie die zunehmen- de Neigung, die Gesundheitsversorgung immer kleinteiliger mit Gesetzen und Verordnungen zu regeln. Bedarfsgerechte Versorgungslösungen entstehen vor Ort. Um Sektorengren- zen zu überwinden, benötigen gemeinsame Selbstverwaltung und regionale Vertragspartner mehr Gestaltungsspielraum. Dass nun ausgerechnet die Länder die im Zuge der Kranken- hausreform geplanten sektorenübergreifenden Versorgungs- einrichtungen in Eigenregie festlegen wollen – ausdrücklich ohne das Benehmen mit den Krankenkassen – ist das falsche Signal. Schließlich sollen diese Einrichtungen auch dazu bei- tragen, etwaige Versorgungslücken im ambulanten und pfle- gerischen Bereich zu schließen. Das wäre ein nahezu idealer Einstieg für eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung, wie sie vom Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege emp- fohlen wird. Dieses neue Kapitel sollten die verantwortlichen Akteure konstruktiv gemeinsam angehen. • ta 3 Stefanie Stoff-Ahnis sieht noch Defizite bei der geplanten Krankenhausreform. 6 In Schleswig-Holstein sind in Zukunft Akut-Einsatzfahrzeuge unterwegs. 10 Die Apothekenreform sieht vor, Standorte in strukturschwachen Regionen gezielt zu fördern. Inhalt AOK. Die Gesundheitskasse.
2 Rede und Antwort NWFAKTOR 02/24 Standpunkte REFORM DER NOTFALLVERSORGUNG Lutz Schäffer alternierender Verwal- tungsratsvorsitzender der AOK NordWest Aufwachen! Die Ampel-Koalition, insbesondere der Finanzminister, muss aus dem Dornröschenschlaf erwachen und Vor- schläge zur Finanzierung der Sozia- len Pflegeversicherung ausarbeiten. Hochrechnungen zeigen, dass für 2024 ein Defizit in Höhe von 1,8 Milliarden Euro droht; 2025 sogar 3,5 Milliar- den Euro. Ein aktueller Bericht der Bundesregierung beschreibt mehrere Zukunftsszenarien und Reformoptio- nen. Eine klare Aussage darüber, wie das akute Defizit bewältigt wer- den soll, sucht man darin allerdings vergeblich. Dabei würden allein die Rentenbeiträge für pflegende Ange- hörige das System um rund 4 Milliar- den Euro entlasten, wenn sie vom Bund finanziert würden. Die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden. Johannes Heß alternierender Verwal- tungsratsvorsitzender der AOK NordWest Zwei Drittel fehlen Eine Aufgabe des Staates ist die soziale Absicherung der Bürgergeld- beziehenden. Diese ist aus Steuern zu finanzieren – das gilt auch für die Ge- sundheitsversorgung. Nach einem ak- tuellen IGES-Gutachten wird der Bund dieser Verantwortung nur zu einem Drittel gerecht: So zahlte er 2022 mo- natlich nur ca. 108 Euro je Bürgergeld- beziehenden in den Gesundheitsfonds ein. Um Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, wären jedoch 311 Euro erforderlich gewesen. Für die Differenz kommen zu Unrecht die beitragszahlenden Arbeitgeber und Versicherten, auch der AOK NordWest, auf. Konkret sprechen wir von 0,6 Bei- tragssatzpunkten. Ein solches Vorge- hen der Politik ist nicht hinnehmbar. „Vieles richtig, aber ausbaufähig“ Die AOK NordWest begrüßt den Referentenentwurf im Grundsatz. Allerdings sollten die verschiedenen Reformvorhaben aufeinander abgestimmt werden. i u a n r a r e v a x / m o c k c o t S . i : o t o F Notfallsanitäter im Einsatz: Ob Patientinnen und Patienten ambulant oder stationär versorgt werden, soll künftig in Integrierten Notfallzentren entschieden werden. S eit Jahren sind die Notaufnah- men in vielen Krankenhäusern überlastet. Auch Rettungsdiens- te klagen über unnötige Einsätze, in de- nen kein akuter Notfall vorliegt. Ursäch- lich für diese „Fehlversorgung“ ist auch eine unzureichende Abstimmung mit dem kassenärztlichen Notdienst. Die- ses Problem will die Bundesregierung mit einer Reform der Notfallversorgung angehen. Im Kern sollen Hilfesuchende ohne Umwege in die für sie richtige Ver- sorgungsebene geleitet werden. Dabei stellt der Gesetzentwurf auch die Er- wartungen an die Ärzte klar: Sie sind gefordert, rund um die Uhr eine not- dienstliche Akutversorgung sicherzu- stellen – sowohl telemedizinisch als auch aufsuchend. Die AOK NordWest begrüßt diese Klarstellung des Sicher- stellungsauftrags. „Ein gut erreichbarer kassenärztlicher Notdienst würde die Fehlversorgung deutlich reduzieren“, so Bernd Marchlowitz, der den Unterneh- mensbereich ambulante Versorgung lei- tet. „Gut ist auch, dass im Rahmen der Akutversorgung auch Arbeitsunfähig- keitsbescheinigungen und Arzneimit- telverordnungen ausgestellt werden können, um unnötige Anschlussbehand- lungen zu vermeiden.“ Damit Akut- und Notfallversorgung bes- ser ineinandergreifen, soll die Patien- tensteuerung verbessert werden: Dazu sind bei den Kassenärztlichen Vereini- gungen „Akutleitstellen“ vorgesehen, die sich mit den Rettungsdienstleitstel- len vernetzen sollen. So sollen Hilfesu- chende in die richtige Versorgungsebe- ne gesteuert werden. „Der Ansatz ist richtig“, meint Marchlowitz, „allerdings sollte die Zusammenarbeit nicht von ei- nem Kooperationsantrag der Leitstel- le abhängig sein, sondern verpflichtend geregelt werden.“ Zudem seien verbind- liche Vorgaben für einheitliche Abfra- ge- und Ersteinschätzungssysteme er- forderlich. Ein weiterer Baustein sind Integrierte Notfallzentren (INZ). Sie sollen flächendeckend als Anlauf- und Steuerungsstelle an bestimmten Klinik- standorten etabliert werden. INZ beste- hen aus der Notaufnahme einer Klinik, einer Notdienstpraxis und einer zentra- len Ersteinschätzungsstelle. Nach ei- ner Ersteinschätzung soll die Notfall- behandlung entweder in der zentralen Notaufnahme oder der Notdienstpra- xis erfolgen. Marchlowitz: „Um Hilfesu- chende ohne sektorspezifische Interes- sen in die geeignete Versorgungsebene zu steuern, wäre es geboten, INZ als ei- genständige und fachlich unabhängige Versorgungseinheiten zu organisieren.“ Damit die Reformziele realisiert wer- den können, sollten zudem die parallel laufenden Reformvorhaben besser auf- einander abgestimmt werden. Auch der Rettungsdienst müsse einbezogen wer- den. Das dürfe nicht an unterschiedli- chen Zuständigkeiten scheitern. Bund und Länder müssten gemeinsam ihrer Verantwortung gerecht werden. • bh
d n a b r e v n e z t i p S - V K G : o t o F NWFAKTOR 02/24 Rede und Antwort 3 KRANKENHAUSREFORM Belastungen nicht abwälzen Stefanie Stoff-Ahnis begrüßt die Einführung von Leistungsgruppen und Mindestfallzahlen. Sie kritisiert aber die Ausgestaltung der Vorhaltefinanzierung und die geplante Finanzierung der Transformation auch aus Beiträgen der gesetzlich Versicherten. Die Krankenhausreform soll Qualität und Effizienz der stationären Versor- gung verbessern. Dreh- und Angel- punkt sind Leistungsgruppen. Wie lassen sich damit die genannten Zielsetzungen erreichen? Die jetzige Krankenhauslandschaft mit ih- ren Überangeboten und unabgestimmten Leistungsstrukturen ist das Ergebnis von jahrzehntelangen autonomen Entschei- dungen der Träger und einer weitgehend unsystematischen Krankenhausplanung der Länder. Die Einführung einheitlicher Leistungsgruppen und daran geknüpfter Qualitätsanforderungen wird von uns un- eingeschränkt begrüßt. Die nun angeleg- te Leistungsgruppensystematik schafft aber eine lediglich grobe Strukturierung. Zur Verbesserung der Versorgungsquali- tät braucht es eine weitere Ausdifferen- zierung der Leistungsgruppen. Es gab bis- her weder eine Anhörung der Fachgremien noch eine öffentliche Debatte. Eine Ein- bindung der gemeinsamen Selbstverwal- tung ist zwingend erforderlich. Die Länder lehnen die Einführung von Mindestfallzahlen ab. Wie bewerten Sie den Vorschlag? Mindestfallzahlen fördern die Qualität der Behandlungen. Denn eine Leistungs- konzentration führt zu weniger Gele- genheitsversorgung. Deshalb sind sie so wichtig für die Patientinnen und Patien- ten. Eine definierte Fallmenge als Grund- lage für eine Vorhaltevergütung hilft, Standorte zu identifizieren, die für die Versorgung in einem bestimmten Leis- tungsgruppensegment notwendig sind. Interview Sie fordern Korrekturen bei der Vorhaltefinanzierung. Welche? Die skizzierte Vorhaltefinanzierung ori- entiert sich lediglich an dem Status quo, der bisherigen Fallzahl und dem Schwere- grad. Bei der angedachten Finanzierungs- systematik liegt der Fokus damit auf Bud- getsicherung für die Krankenhäuser, was absolut strukturkonservierend wirkt. Die Regelung ist zudem komplex. Bei der ge- planten Vorhaltefinanzierung sind – in Zusammenhang mit den Leistungsgrup- pen – ebenfalls zahlreiche Ausnahmere- gelungen für die Bundesländer geplant. » Das Ziel einer not- wendigen Struktur- veränderung wird so nicht erreicht. Stefanie Stoff-Ahnis, stv. Vorstands- vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Mit der jetzt im Kabinettsentwurf stehen- den Regelung wird daher die Zielstellung der dringend notwendigen Strukturverän- derung nicht erreicht. Vorhaltepauscha- len müssen stattdessen deutlich stärker am Bedarf orientiert sein, insbesondere an der mit den Leistungsgruppen zu ver- sorgenden Bevölkerung. Richtig wäre es, die Weiterentwicklung der Vorhaltefinan- zierung in die Hände der gemeinsamen Selbstverwaltung zu legen. Die Länder könnten Krankenhaus- standorte als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen bestimmen. Verleiht das der Ambulantisierung neuen Schub? Ob es zu ambulant-stationären Zentren kommt, ist unklar. Level 1i-Kliniken dür- fen in diesem Bereich nicht mehr als an- dere Krankenhäuser. Die Einführung von sektorenübergreifenden Versorgungs- einrichtungen wird aber wahrscheinlich als Alternative zur Schließung genutzt. Problematisch erscheint die Möglich- keit zur Neugründung von Level-1i-Häu- sern, die ebenfalls zwingend am Versor- gungsbedarf der Bevölkerung orientiert sein müsste. Neugründungen sollten nur in unterversorgten ländlichen Regionen möglich sein. Es darf nicht zu einer Situ- ation kommen, in der wir Level 1i-Häuser vor allem in den Ballungsgebieten finden. Die Transformation der Klinikland- schaft wird viel Geld kosten. Wie kann das finanziert werden? Der Kabinettsentwurf sieht eine erheb- liche Belastung der Beitragszahlenden vor. Die private Krankenversicherung wird hingegen gar nicht beteiligt. Der Auf- und Umbau der Krankenhauslandschaft ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Auf- gabe. Bund und Länder dürfen ihre Finan- zierungsverantwortung hier nicht auf die gesetzlichen Krankenkassen abwälzen. Konkret heißt das: Der Bund muss das über Steuermittel finanzieren. Zudem fehlt dem Transformationsfonds ein bun- deseinheitliches Zielbild einer zukünfti- gen Versorgungsstruktur. • bh
4 Fakten und Hintergründe NWFAKTOR 02/24 HERZERKRANKUNGEN Der Trend bleibt positiv Der Gesundheitsatlas Deutschland macht deutlich: Die Zahl der Herzerkrankten geht weiter nach unten. Wesentliche Gründe für die Entwicklung sehen Expertinnen und Experten in dem zunehmen- den Rauchverzicht sowie in der verbesserten medizinischen Behandlung von Risikofaktoren. i i x p r e f e k / m o c k c o t S . i : o t o F E ine Datenauswertung für den Gesundheitsatlas Deutschland des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt einen anhaltenden Rückgang bei der Zahl der herzkranken Menschen. So sank der Anteil der Menschen ab 30 Jahren mit einer Koro- naren Herzerkrankung (KHK) von 2017 bis 2022 um knapp 8 Prozent. Bei Diabetes mellitus Typ 2 und Bluthochdruck, die Ri- sikofaktoren für die Entstehung einer KHK darstellen, sind da- gegen Anstiege zu verzeichnen. Der Gesundheitsatlas macht die Entwicklungen für 24 Erkrankungen bis auf Landkreis-Ebe- ne transparent. Insgesamt waren im Jahr 2022 etwa 4,74 Mil- lionen Menschen von einer Koronaren Herzkrankheit betroffen. Dies entspricht einem Anteil von 8,1 Prozent der Bevölkerung ab dem 30. Lebensjahr. 2017 waren es noch 8,8 Prozent. Bei den Werten ist zu beachten, dass es sich nicht um standardi- sierte Zahlen handelt. Sie berücksichtigen also nicht die un- terschiedliche Alters- und Geschlechterstruktur. Denn in den ländlichen Regionen ist die Bevölkerung im Schnitt älter und hat damit ein höheres Erkrankungsrisiko. Die sogenannten fai- ren (geschlechts-/altersjustierten) Werte können allerdings im Gesundheitsatlas eingesehen werden. „Der positive Trend dürfte mit Lebensstiländerungen wie dem zunehmenden Rauchverzicht und einer verbesserten medizini- schen Behandlung der Risikofaktoren zusammenhängen“, sagt Helmut Schröder, Geschäftsführer des WIdO. „Allerdings gibt es keinen Grund zur Entwarnung, denn gleichzeitig sehen wir in den Daten negative Entwicklungen bei Erkrankungen, die als wichtige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Korona- ren Herzerkrankung gelten.“ So zeigt der Atlas einen Anstieg bei den Diabetes-Erkrankungen: Der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 an der Gesamtbe- völkerung ist von 10,9 Prozent im Jahr 2017 auf 11,1 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Auch beim KHK-Risikofaktor Bluthoch- druck ist ein Anstieg zu verzeichnen: Hier wuchs der Anteil der betroffenen Menschen an der Gesamtbevölkerung von 29,5 Prozent im Jahr 2017 auf 30 Prozent im Jahr 2022). » Es gibt aber keinen Grund zur Entwarnung. Wir sehen in den Daten auch negative Entwicklungen. Helmut Schröder, WIdO-Geschäftsführer Trotz der positiven Gesamtentwicklung beim Thema Korona- re Herzkrankheit verzeichnet der Gesundheitsatlas Deutsch- land vor allem im Osten Deutschlands nach wie vor sehr hohe Krankheitsraten: An der Spitze steht das Land Sachsen-Anhalt, wo der Anteil der KHK-Erkrankten an der Bevölkerung im Jahr 2022 bei 12,2 Prozent lag. In Westfalen-Lippe lag der Anteil bei 9 Prozent, in Schleswig-Holstein bei 7,9 Prozent. Der Gesund- heitsatlas schlüsselt die Daten zur KHK unter anderem nach Alter und Geschlecht auf. Die entsprechenden Auswertungen zeigen, dass in allen Altersgruppen mehr Männer als Frau- en an der KHK erkranken. So waren im Jahr 2022 in der Grup- pe der 85- bis 89-Jährigen 39,8 Prozent der Männer und 25,7 Prozent der Frauen betroffen. Über alle Altersgruppen hinweg waren es 10,1 Prozent der Männer und 6,2 Prozent der Frauen. Die Koronare Herzkrankheit entsteht durch Verengungen in den Herzkranzgefäßen. Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthoch- druck, erhöhte Blutfettwerte oder Übergewicht können die Ent- stehung einer KHK begünstigen. Der Gesundheitsatlas zeigt, dass in Regionen, in denen ein hoher Diabetes-Anteil vorliegt, im „fairen“ Vergleich auch mehr Patientinnen und Patienten mit Koronarer Herzkrankheit leben. • kö gesundheitsatlas-deutschland.de
NWFAKTOR 02/24 Fakten und Hintergründe 5 Auf einen Blick Koronare Herzerkrankungen in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe Die Unterschiede zwischen den Kreisen und Städten sind beträchtlich: Spitzenreiter in Westfalen-Lippe ist Gelsenkirchen mit einem Anteil von 11,6 Prozent; den niedrigsten Wert verzeichnete Münster mit 5,7 Prozent. In Schleswig-Holstein erstreckt sich die Spanne von 6,5 Prozent im Kreis Pinneberg bis zu 9 Prozent in Ostholstein. Große Unterschiede in beiden Regionen Schleswig-Holstein Ø 7,9 % Westfalen-Lippe Ø 9 % 5,7 % Münster 9 % Ostholstein 11,6 % Gelsenkirchen Deutschland Ø 8,1 % 5,7 – 7,6 % 7,7 – 8,1 % 8,2 – 8,6 % 8,7 – 9 % 9,1 – 9,6 % 9,7 – 10,5 % 10,6 – 11,6 % 6,5 % Pinneberg 6,5 – 7,7 % 7,8 – 8,3 % 8,4 – 9 % Quelle: Gesundheitsatlas Deutschland Recht und Gesetz Risikostrukturausgleich im Fokus Gesundes-Herz-Gesetz Klinik-Atlas ist online Das Bundesamt für Soziale Sicherung hat mehrere Gutachten zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs veröffent- licht. Unter anderem bringt der wissen- schaftliche Beirat die Aufnahme weiterer Risikomerkmale ins Spiel. Nach Ansicht des Gremiums könnten versichertenbezo- gene Informationen wie Arbeitslosigkeit, Alters armut oder Zuzahlungsbefreiung geeignet sein, „die Zuweisungsgenauigkeit auf regionaler Ebene weiter zu steigern“. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will die Herz-Gesundheit stärken. Sein Ent- wurf für ein „Gesundes-Herz-Gesetz“ sieht etwa die Ausweitung von Früherkennungs- maßnahmen vor. Bereits Kinder sollen auf bestimmte Risikofaktoren untersucht werden. Zudem soll die Verordnung von Li- pidsenkern erleichtert werden und „Check- ups“ auch in der Apotheke erfolgen. Die AOK bemängelt, dass für viele Maßnah- men keine ausreichende Evidenz bestehe. Mitte Mai wurde der Bundes-Klinik-Atlas veröffentlicht. Das Bundesministerium für Gesundheit hat das Angebot gemeinsam mit dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz (IQTIG) entwickelt. Der Atlas will verständlich, transparent und vergleichbar über Umfang und Qualität der Versorgung sowie die Personalaus- stattung in den Kliniken informieren. bundes-klinik-atlas.de Foto: iStock.com / AndreyPopov Foto: iStock.com / 12963734 Foto: iStock.com / Cecilie_Arcurs
6 Lokal und Regional NWFAKTOR 02/24 RETTUNGSDIENST QUALITÄTSVERTRÄGE Neue Fahrzeuge geplant Höhere Standards erreichen Die Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein setzt zukünftig Akut-Einsatzfahrzeuge (AEF) ein. Dadurch soll die außerklinische Notfallversorgung optimiert werden. Die AOK NordWest erprobt gemeinsam mit Kliniken in NRW, wie sich die Qualität von stationären Behandlungen verbessern lässt. Erste Erfahrungen sind positiv. i t u G o i r a M / m o c k c o t S i : . o t o F Die Notfallversorgung wird ergänzt. Bei medizinischen Notlagen ist eine kompetente und schnel- le notfallmedizinische Erstver- sorgung absolut unverzichtbar. Laut Rettungsdienst-Kooperati- on in Schleswig-Holstein (RKiSH) ist bei etwa 15 Prozent der Alar- mierungen primär weder eine vi- tale Bedrohung noch der Bedarf einer Klinikeinweisung erkennbar. Kommt die Rettungsleitstelle nach einer standardisierten Abfrage zu dem Ergebnis, dass ein solcher „Notfall-Klein“ vorliegt, soll künftig das Akut-Einsatzfahrzeug anstelle des Rettungswagens ausrücken. Rettungsfachkräfte mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation nehmen dann umge- hend die weitere Abklärung vor Ort vor. Das soll die Einsätze von Rettungswagen reduzieren, die originär für die Notfall- rettung vorgesehen sind. Das Gesundheitsministerium des Landes, die RKiSH und die Kostenträger ermöglichen dieses Projekt. AOK-Landesdirektorin Iris Kröner: „Die neuen Fahr- zeuge können die Rettungsdienststruktur in der Region sehr gut ergänzen. Der Einsatz von hoch qualifiziertem Rettungs- fachpersonal gewährleistet eine gute Erstversorgung und eine kompetente Einschätzung, ob ein Transport in ein Kran- kenhaus erforderlich ist.“ Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, um Erkennt- nisse zum Einsatz der AEF zu gewinnen und um diese neue Versorgungsform zu bewerten. • sm s n o i t c u d o r P I D S / m o c k c o t S . i : o t o F Im Fokus: Die Qualität der stationären Behandlungen. Lassen sich stationäre Behand- lungen über Anreizsysteme zur Einhaltung besonderer Qualitäts- anforderungen verbessern? Pro- fitieren Versicherte dadurch von höheren Qualitätsstandards? Dies soll durch Qualitätsverträge zwischen der AOK NordWest mit Krankenhäusern erprobt werden. Im Januar 2024 wurden Verträge zum Leistungsbereich endoprothetische Gelenkversorgung mit dem St. Josef-Stift Sendenhorst und der Orthopädischen Klinik Volmarstein abgeschlossen. Vorgesehen ist etwa ein spezielles Schmerzmanagement. Damit sollen postoperative Komplikationen vermieden, die größtmögliche Funktionalität des Gelenks wiederhergestellt und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten gesteigert werden. Der Qualitätsvertrag mit dem Krankenhaus Mara Bielefeld geht auf die besonderen Belange von Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen ein. Auf die Prävention des postoperativen Delirs bei der Versorgung älterer Patienten und Patientinnen zielt der Vertrag mit dem Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen ab. Die Kran- kenhäuser erhalten für die Mehrleistungen zusätzliche Ver- gütungen. „Wir haben bisher mit Qualitätsverträgen gute Erfahrungen gemacht: Sie wirken“, so Thomas Fritz, Unter- nehmensbereichsleiter Krankenhaus bei der AOK NordWest. Deshalb sind weitere Verträge in Planung. • me Kurz gemeldet aus Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein Digitalisierung in der Arztpraxis Der Fachkräftemangel zieht sich durch alle Branchen. Auch die Gesundheitsberufe und die Krankenkassen sind davon betrof- fen. Hilfreich können dann digitale Anwendungen sein, um Arbeitsab- läufe zu verschlanken und die Zeit für andere Tätigkeiten zu nutzen. Die AOK NordWest setzt selbst ver- mehrt auf Online-Services und auf automatisierte Antragsverfahren, beobachtet aber auch andere interes- sante Möglichkeiten, wie den Self- Check-in in einer Arztpraxis. Erste Erfahrungen ohne den klassischen Empfangstresen sind positiv. In der Hausarztpraxis Holomedi- cum in Bad Segeberg zum Bei- spiel. Dort kann man einen Termin über die Online-Rezeption buchen und checkt dann mit der elektronischen Gesundheitskarte selbst in der Praxis ein, wie am Flughafen. Nach ein paar Klicks auf dem Touchscreen im Ein- gangsbereich und dem Einlesen der Versichertenkarte sitzt man wenig später im Wartezimmer. Die Medizi- nischen Fachangestellten haben so mehr Zeit fürs Labor oder Telefonate. Kurzzeitpflege: Zahl der Plätze im Norden steigt Die Anzahl der Kurzzeit- pflegeplätze in Schleswig- Holstein ist in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies geht aus Zahlen der schleswig-hol- steinischen Landesregierung hervor: Im Jahr 2020 waren es 1.585 Kurz- zeitpflegeplätze. Derzeit gibt es 1.721 Kurzzeitpflegeplätze. Dies ist ein Anstieg von fast 9 Prozent. Dieser Zu- wachs ist allerdings landesweit nicht gleichmäßig zu verzeichnen: In den
a r e m a C t a F / m o c k c o t S . i : o t o F NWFAKTOR 02/24 Lokal und Regional 7 VERSORGUNG HITZESCHUTZ Geflüchteten besser helfen Kostenloses Wasser Die AOK NordWest setzt auf die elektronische Gesund- heits karte für Geflüchtete und engagiert sich aktiv in der flächendeckenden Betreuung von Asylbewerbern. Am 5. Juni fand der bundesweite Hitzeaktionstag statt. Der Appell: Hitzegefahren ernstnehmen – Hitzeschutz kon- sequent umsetzen. Auch die AOK NordWest macht mit. Die elektronische Gesund- heitskarte (eGK) erleichtert den Zugang zu medizinischen Leistungen und ermöglicht eine effiziente Abrechnung. Die bundesweite Einführung einer eGK für Geflüchtete hät- te laut einer aktuellen Studie viele Vorteile: Die Patienten könnten schneller behandelt, der Verwaltungsaufwand verringert und Kosten gespart wer- den, so das Fazit einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Geflüchtete sollen schneller ärztliche Hilfe bekommen. Bereits 2016 wurde gemeinsam mit den Ländern NRW und Schleswig-Holstein eine Rahmenvereinbarung geschlossen, die mittels eGK eine effiziente und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung bietet. Diese Kooperation trägt zur gesundheitlichen Stabilität der Asylbewerber bei. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Kommunen wurde das Verfahren optimiert und die dahinter liegenden Abrech- nungsprozesse weiter verbessert. In Schleswig-Holstein ist die eGK für diesen Personenkreis bereits flächendeckend im Einsatz. In Nordrhein-Westfalen obliegt es den Kommunen, der Rahmenvereinbarung beizutreten. • sm z e m n o s y b / m o c k c o t S . i : o t o F Dass Hitze ein großes Gesund- heitsrisiko in Deutschland ist, da rüber herrscht bei den Exper- tinnen und Experten schon lan- ge Einigkeit. Aufgrund des Kli- mawandels werden die von Hitze verursachten Gefahren in den kommenden Jahren weiter zuneh- men. In einer aktuellen Befragung der AOK NordWest gaben 41 Pro- zent der Menschen in Westfalen-Lippe an, mit lang anhalten- der Hitze und hohen Temperaturen über 30 Grad schlecht oder eher schlecht zurechtzukommen. In Schleswig-Holstein sind es sogar 44 Prozent. Mehr als ein Drittel der Befragten (38 Pro- zent) in beiden Regionen wünscht sich mehr Informationen zu den Auswirkungen von längeren Hitzeperioden. Die Kundencenter bieten Wasser für die Besucher an. Zum bundesweiten Hitzeaktionstag hat die AOK NordWest in allen Kundencentern eine Flyeraktion gestartet. Kompakt zusammengefasst gibt es viele Tipps zum richtigen Verhalten bei Hitze und nützliche Informationen, wie man sich in einem Hitzenotfall verhalten sollte. Darüber hinaus weitet die AOK NordWest die Teilnahme am Refill-Konzept dauerhaft aus. Das bedeutet, dass ab sofort in allen Kundencentern mitge- brachte Trinkgefäße mit Leitungswasser kostenlos befüllt werden können. • pe aok.de/pp/gg/update/studie-zeigt-vorteile-einer- flaechendecken-egk-fuer-gefluechtete/ aok.de/pk/thema/hitzeschutz Landkreisen Herzogtum Lauenburg, Rendsburg-Eckernförde und Schles- wig-Flensburg sowie in der Stadt Neumünster wurden Kurzzeitpflege- plätze abgebaut. Ganz anders sieht die Situation im Landkreis Nordfries- land aus. Dort ist nach einer Förderung im Jahr 2023 im Rahmen von IMPULS, ein Zuwachs von 28 Plätzen zu ver- zeichnen. Dies entspricht einem Plus von knapp 25 Prozent. IMPULS – „Infra- strukturmodernisierungsprogramm für unser Land Schleswig-Holstein“ – ist ein Sondervermögen, um die Infrastruk- tur zu sanieren und zu modernisieren. Das Programm gibt es seit 2015. AOK NordWest fördert Sportkurse in Vereinen Bewegung ist der Schlüssel für ge- sundes Aufwachsen. Aber immer weniger Kinder treiben Sport. Des- halb bietet der Landessportverband Schleswig-Holstein (LSV) die Aktion „Familien in Bewegung“ an: Familien mit Kindern können durch die Förde- rung der AOK NordWest kostenlos an Sportkursen von Vereinen teilnehmen und so Sportarten kennenlernen. Insgesamt beteiligen sich 23 der 54 Fachverbände, etwa Aikido, Tischtennis, Pferdesport, Schwimmen, Segeln, Tan- zen, Volleyball, Leicht- athletik und Fußball. Innerhalb von 10 Jahren haben 212 Vereine in Schleswig-Holstein 560 Kurse angebo- ten – 80 davon in 2024. Die Idee: Die Eltern leben ihren Kindern die Bedeu- tung von Sport und Bewegung vor. Das funktioniert: 35 Prozent aller Teilneh- mer sind im Anschluss an einen Kursus Mitglied in einem Sportverein geworden. lsv-sh.de/sportwelten-projekte/ sport-soziales/familiensport/ familien-in-bewegung/
8 Innovation und Praxis NWFAKTOR 02/24 Praxis ABNEHMSPRITZE Was ist eigentlich ... ... MEZIS? „Mein Essen zahl’ ich selbst“ (MEZIS) ist eine Initiative, die deutsche Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2007 gegründet haben. Der eingetragene Verein hat seinen Sitz in Bad Salzuflen. Vor- bild war die US-amerikanische Organisation „No Free Lunch“. Die rund 1.000 Mitglieder setzen sich dafür ein, den Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf Ärztinnen und Ärzte transparen- ter zu machen und zu reduzieren. Zweck des Vereins ist laut Sat- zung, „die wissenschaftliche und unabhängige Fort- und Weiter- bildung von Ärztinnen und Ärzten und anderer Heilberufe auf dem Gebiet der rationalen Arzneimit- teltherapie und Evidenzbasier- ten Medizin zu verbessern, und Schaden für Patientinnen und Patienten durch unzweckmäßi- ge Arzneiverordnungen abzu- wenden“. So vertritt MEZIS zum Beispiel das Ziel, dass Fort- und Weiterbildungen für Ärztinnen und Ärzte frei von Sponsoring der Pharmaindustrie sein sollten. Üblicherweise wird eine Großzahl dieser Fort- und Weiterbildungen von den Pharmaunternehmen (mit-)finanziert. Das Sponsoring muss laut MEZIS transparent sein. Ziel sei es, nur von Spon- soring unabhängige Fort- und Weiterbildungen anzubieten. Auch sollen Medikamenten- studien unabhängig von Auf- trags- und Geldgebern aus der Pharmaindustrie sein. Derzeit ist die Mehrzahl dieser medizini- schen Studien abhängig von der Finanzierung durch die Indus- trie. Dies bedeute eine direkte Beeinflussung durch und auch gezielte Auftragsforschung für die Pharmaindustrie. MEZIS ist der Auffassung, dass so keine objektive Forschung möglich ist. Hype mit Nebenwirkungen Seit 2018 kommt der Wirkstoff Semaglutid in Deutschland in der medikamentösen Therapie von Diabetes Typ 2 zum Einsatz. Doch nun sorgt der Hype um die „Abnehmspritze“ für Nebenwirkungen. i i 6 8 _ d m d / m o c k c o t S . i : o t o F S ematuglid wird zusammen mit an- deren Arzneimitteln bei Typ 2-Di- abetes eingesetzt, wenn Diät und sportliche Aktivität nicht ausreichen, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Es sti- muliert die Sekretion von Insulin, verlang- samt die Magenentleerung und hemmt den Appetit. Die Kosten für die verordne- ten Fertigpens (Ozempic®) werden von den Krankenkassen übernommen. Immer mehr Diabetes-Typ2-Erkrankte wurden in den letzten Jahren auf das Medikament ein- gestellt. Das zeigen auch die Verordnungs- zahlen von Ozempic® bei der AOK Nord- West (s. Grafik). Doch seit der Zulassung von Sematuglid in der Adipositastherapie kommt es wiederholt zu unerwünschten Nebenwirkungen: Denn der Hype um die Mehr Verordnungen und höhere Kosten bei Ozempic® Brutto-Umsätze Verordnungen (Anzahl) 55.327 36.828 24.475 12 Mio. 10 Mio. 8 Mio. 6 Mio. 4 Mio. 2 Mio. 0 9.336 2020 2021 2022 2023 „Abnehmspritze“ Wegovy® lässt die Nach- frage nach dem Wirkstoff regelrecht ex- plodieren. Dabei greifen offenbar viele Ab- nehmwillige auch auf das Diabetesmittel Ozempic® zurück. Immer wieder kommt es zu Lieferengpässen und die Versorgung von Diabetikern stockt. Auch für 2024 rechnet der Hersteller für Ozempic® mit Lieferein- schränkungen und rät ausdrücklich ab, Di- abetiker neu auf das Medikament einzu- stellen. Derweil konzentriert der Hersteller die Produktion auf die Medikamente mit höherem Wirkstoffgehalt. Nach Herstel- lerangaben ist die Therapie von Adiposi- taspatienten mit Wegovy® jedenfalls nicht durch Lieferengpässe eingeschränkt. Wel- che Rolle der deutlich höhere Verkaufspreis der „Abnehmspritze“ bei der Priorisierung der Produktion spielt, bleibt offen. Klar ist jedoch, dass der Hersteller die Nachfrage nach Wegovy® weiter kräf- tig ankurbelt. Die Vermarktungsmetho- den stoßen auch bei der Initiative MEZIS sauer auf, die sich kritisch mit dem Phar- masponsoring auseinandersetzt (s. linke Spalte). So wurde der Hersteller für seine Kampagne rund um Wegovy® in diesem Jahr von MEZIS mit der Negativauszeich- nung das „Goldene Zäpfchen“ gekürt. Auf Kassenkosten ist das Abnehmmittel aller- dings nicht zu haben: Im März hatte der Gemeinsame Bundesausschuss Wegovy® als Lifestyle-Arzneimittel gelistet und da- mit auch formal als Krankenkassenleis- tung ausgeschlossen. • aw/bh
NWFAKTOR 02/24 Innovation und Praxis 9 Irrtümer beim Sonnenschutz Wie schütze ich mich am besten in der Sonne? Warum lassen sich die Menschen in Westfalen- Lippe und Schleswig-Holstein so selten untersuchen? Eine forsa-Umfrage gibt Auskunft. Die repräsentative Umfrage im Auftrag der AOK zeigt immer noch Wissenslücken und Irrtümer. Danach glauben 24 Prozent der Befragten in Westfalen-Lippe (WL) und 22 Prozent in Schles- wig-Holstein (SH) fälschlicherweise, dass man im Schatten vor Sonnenbrand geschützt ist. Etwa jeder Fünfte geht sogar da- von aus, dass ein hoher Lichtschutzfaktor die Bräunung der Haut verhindert. Fast jeder Zweite (49 Prozent WL, 47 Prozent SH) weiß nicht, was der sogenannte Lichtschutzfaktor bedeu- tet. Immerhin nutzen aber die meisten (65 Prozent WL, 72 Pro- zent SH) richtigerweise Sonnenschutzmittel, um sich zu schüt- zen (obere Grafik). Bei der Frage, warum sie ihre Haut so wenig selbst untersuchen, stand „Ich denke nicht daran“ jeweils mit Abstand an der Spitze der Antworten (untere Grafik). Um sich vor Hautkrebs zu schützen, empfiehlt die AOK unter anderem, das Hautkrebs-Screening als Vorsorge zu nutzen. • ae/kö aok.de/pk/thema/hautgesundheit/ 70 % 60 50 40 30 20 10 0 Welche Sonnenschutzmaßnahmen werden ergriffen? Schleswig-Holstein Westfalen-Lippe % 2 7 % 5 6 % 1 6 % 9 5 % 5 4 % 1 5 % 1 4 % 5 4 % 8 3 % 2 4 % 6 3 % 5 3 Nutzung von Sonnenschutzmittel Tragen einer Sonnenbrille Vermeidung längerer Aufenthalte in der Sonne Meiden der Mittagssonne Tragen einer Aufenthalt über- Kopfbedeckung wiegend im Schatten 50+ LSF Gründe, warum die Befragten ihre Haut nicht oder nur selten untersuchen. in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe s d n e i r F & z l o h c S , K O A : s u l l I a s r o F : e l l e u Q
10 Innovation und Praxis NWFAKTOR 02/24 REFORM DES APOTHEKENWESENS Flexibler am Markt agieren Auch Apotheken sind von Fachkräftemangel und Ausdünnung der Versorgung in der Fläche betroffen. Mit einer Apothekenreform will der Bundesgesundheitsminister eine flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherstellen. D er Referentenentwurf des Apotheken-Reformge- setzes betont die Notwendigkeit, das bestehende Apothekennetz mit persönlicher Vor-Ort-Beratung zu erhalten. Angesichts des Fachkräftemangels und eines wachsenden Versorgungsgefälles zwi- schen Stadt und Land sollen Apothekenstandorte in struktur- schwachen Regionen gezielt gefördert werden. Dabei setzt die Reform im Wesentlichen auf zwei Säulen: Zum einen soll die Vergütungssystematik angepasst werden, zum anderen sind Erleichterungen beim Betrieb von Zweig- und Filialapotheken geplant. Die AOK NordWest unterstützt die Zielsetzung der Re- form. „Es ist richtig, die Vergütung zugunsten ländlicher Apo- thekenstandorte neu zu ordnen“, meint Birgit Ewen. Die Fach- bereichsleiterin Arzneimittel befürwortet vor allem die bessere Honorierung der Nacht- und Notdienste. „Die Frequenz von Nacht- und Notdiensten ist ein Maß für die Beteiligung an der regionalen Versorgung. Von einer Erhöhung der Zuschläge wür- den in erster Linie Apotheken in Regionen mit geringer Apothe- kendichte profitieren.“ Auch das Absenken des prozentualen Anteils der Apothekenvergütung weist nach ihrer Auffassung in die richtige Richtung: „Das Honorar sollte sich am Abgabe- vorgang und nicht so sehr am Abgabepreis orientieren.“ Aller- dings greife der Gesetzentwurf hier noch zu kurz. Mit einer un- differenzierten Erhöhung des Packungsfixums würden generell Apotheken mit hohem Packungsabsatz gefördert, gibt Ewen I s e g a m e l p o e P / m o c k c o t S . i : o t o F Persönliche Beratung in der Apotheke: In Zukunft könnte auch Telephar- mazie eine größere Rolle spielen. zu bedenken. „Um flächenversorgende Apotheken zu fördern, muss die Vergütungssystematik zielgenauer sein.“ Angesichts der steigenden Arzneimittelpreise sei es zudem angezeigt, den prozentualen Vergütungsanteil nach oben hin zu begrenzen. „Diese für den Großhandel bereits geltende Deckelung sollte analog auf die Apotheken übertragen werden“, meint Ewen. Drei Fragen an ... Birgit Ewen Birgit Ewen Fachbereichsleiterin Arzneimittel, Fachbereichsleiterin Arzneimittel, AOK NordWest AOK NordWest Chancen der Digitalisierung nutzen Die Apotheken auf dem Land könnten durch die Reform gestärkt werden. 1. Wie steht die AOK NordWest zur Apotheke-Vor-Ort? Eine patientenorientierte Versorgung liegt uns besonders am Herzen, weshalb wir die Stärkung der Vor-Ort-Apotheken als äußerst wichtig erachten. In Westfa- len-Lippe und Schleswig-Holstein haben wir sowohl ländliche Gebiete als auch Ballungsräume wie das Ruhrgebiet. Die- se verschiedenen Bereiche bringen unter- schiedliche Herausforderungen für eine flächendeckende Versorgung mit sich. 2. Werden durch das geplante Reformvorhaben die Apotheken auf dem Land gestärkt? Grundsätzlich ja. Die Flexibilisierungen beim Betrieb von Apotheken, die Errich- tung von Filialapotheken und die Nut- zung digitaler Möglichkeiten können dazu beitragen, die Apothekenversorgung in strukturschwachen Regionen auch künf- tig zu gewährleisten. Die Vergütungskom- ponenten der Reform sollten aber noch zielgenauer ausgestaltet werden. t s e W d r o N K O A : o t o F
NWFAKTOR 02/24 Innovation und Praxis 11 Nachbesserungen hält sie auch bei der Finan- zierung von pharmazeutischen Dienstleistun- gen für geboten. Inzwischen sei der pauschal über Packungszuschläge finanzierte Topf auf 380 Millionen Euro angeschwollen. „Die phar- mazeutischen Dienstleistungen bleiben hinter den Erwartungen zurück“, erläutert Ewen. Des- halb solle der Finanzierungstopf aufgelöst und die pharmazeutischen Dienstleistungen dann direkt abgerechnet werden. Als grundsätzlich zielführend bewertet die Ex- pertin die im Gesetzentwurf vorgesehenen Er- leichterungen für den Betrieb von Apotheken. Unter den Stichwörtern Flexibilisierung und Entbürokratisierung sind unter anderem fle- xiblere Öffnungszeiten für Apotheken, die ein- fachere Gründung von Zweigapotheken, eine geteilte Filialapothekenleitung sowie die An- erkennung ausländischer Abschlüsse vorgese- hen. „Mehr Filial- und Zweigapotheken sind ein wichtiger Baustein, um eine flächendeckende Vor-Ort-Versorgung zu gewährleisten“, meint Ewen. Dazu sollten die Potenziale der Digita- lisierung und Telepharmazie besser ausge- schöpft werden. Angesichts des sich forcie- renden Fachkräftemangels müsse aber auch über weitere Optionen nachgedacht werden, zum Beispiel über die Nutzung von telephar- mazeutisch unterstützten Abgabeautomaten in unterversorgten Regionen als Ergänzung zur Vor-Ort-Versorgung. Insgesamt enthalte der Referentenentwurf einige sachgerechte Ansät- ze, um auch zukünftig eine flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Diese gelte es jetzt im weiteren Verfahren mit den beteiligten Akteuren pragmatisch und konst- ruktiv weiterzuentwickeln. • bb/bh 3. Impfen in Apotheken – macht das aus Ihrer Sicht Sinn? Aktuell sind in Apotheken nur Impfun- gen gegen Influenza und das Coronavirus möglich. Das nutzten im vergangenen Jahr etwa 6,7 Prozent der Apotheken in West- falen-Lippe und rund 5,3 Prozent in Schles- wig-Holstein. Der Referentenentwurf erwei- tert nun das Impfangebot. Künftig können sich Erwachsene mit bestimmten Impfstof- fen, die keine replikationsfähigen Krank- heitserreger enthalten, auch in der Apothe- ke impfen lassen. Wir meinen, dass dieser Ansatz dazu beitragen kann, die Impfquo- ten zu erhöhen. K O A , O d W I : s o t o F AOK & Medien Folgen Sie uns auf X Direkt vernetzt mit den Teams Presse & Politik der AOK NordWest – ganz einfach über: @AOKNordWest Neues aus dem AOK-Kosmos Krankenhaus-Report 2024 Zum Schwerpunktthema „Strukturreform“ der Krankenhaus-Landschaft liefert der Report Analysen und zeigt Handlungsansätze auf. Benannt werden Themen wie angebotsseitige Überkapazitäten, mangelnde Ambulantisierung und Qualitätsprobleme bei Kleinststrukturen. wido.de > Publikationen & Produkte > Buchreihen > Krankenhaus-Report Die NRW-3x3-Tour feiert Jubiläum 30 Jahre jung wird die größte Basketball-Breitensport-Veran- staltung Deutschlands, die von der AOK NordWest unterstützt wurde. Bisher haben über 150.000 Spieler an der 3×3-Variante des Basketballs teilgenom- men. Streetbasketball – die junge Trendsportart von damals ist inzwischen Teil des Olympischen Basketball-Programms. aok.de/pp/nordwest/pm/nrw3x3tour-2024/ Neue AOK-Hilfsmittel- suche online Um geeignete AOK-Vertrags- partner in Wohnortnähe für benötigte Hilfsmittel oder Pfle- gehilfsmittel zu finden, kön- nen Versicherte jetzt online danach suchen. Die Suche funktioniert entweder über die Ge- bührenposition auf der Verordnung oder mit Laienbegriffen. aok.de/pk/hilfsmittelsuche/
12 Ein- und Ausblicke NWFAKTOR 02/24 AOK ONLINE-COACH Den Bluthochdruck im Blick behalten In Deutschland leiden 20 Millionen Men- schen an Bluthochdruck. Der AOK Online- Coach Bluthochdruck unterstützt Betrof- fene. Sie erfahren im Coach verständlich dargestellt, was im Körper bei hohem Blutdruck passiert, welche Risikofaktoren zu einer Bluthochdruckerkrankung führen und wie sie diese positiv beeinflussen. Der Coach gibt Tipps zum Umgang mit Stress und für eine blutdrucksenkende Ernäh- rung. Auch ein maßgeschneiderter Bewe- gungsplan kann erstellt werden. Exper- tinnen und Experten sowie vier Personen mit typischen Bluthochdruckformen be- gleiten die Nutzenden durch die zwölf Mo- dule des Coaches. Übungen, individuell anpassbare Trainingsprogramme und Mo- tivationshilfen unterstützen bei der Le- bensstiländerung. In einer persönlichen Übersicht werden Fortschritte, die geplan- ten oder absolvierten Übungen und Ergeb- nisse angezeigt. Der Online-Coach ist für alle Interessierten kostenlos. Um ihn voll- ständig zu nutzen, ist eine Registrierung notwendig. • bg bluthochdruck.aok.de Weitere Online-Coaches unter: aok.de/pk/leistungen/online- programme/ Ist Mammographie-Screening sinnvoll? Pro Kontra Markus Haist 2. Vorsitzender des Berufsver- bands der Frauenärzte (BVF) Prof. Ingrid Mühlhauser Universität Hamburg, Gesund- heitswissenschaftlerlin, i.R. Die Effekte des Screenings sind gut untersucht. Die Verringerung der Brustkrebssterblichkeit ist seit dem Jahr 2010 ausschließlich in der Altersgruppe der Screening-Be- rechtigten nachzuweisen. Zudem kann Krebs in einem deutlich früheren Stadium diagnostiziert werden. Neben einer Erweiterung der Beratungsleistung sollte das Screening-Programm auf die Al- tersgruppen von 45 bis 75 Jah- ren ausgedehnt werden, so wie es auch die Empfehlungen der Europäischen Union vorsehen. Wenn 1.000 Frauen sich im Alter zwischen 50 bis 69 Jahren alle zwei Jahre am Screening beteiligen, haben sie mehr als 9.000 Unter- suchungen. Bei 350 gibt es falsche Befunde. Screening führt zu mehr OPs, Strahlen- und Chemothera- pien. Ohne Screening sterben in 20 Jahren 19 Frauen an Brustkrebs, mit 15. Somit haben von 1.000 Frau- en 996 keinen Nutzen, sondern nur den Schaden des Screenings, weil sie auch ohne Screening nicht an Brustkrebs sterben würden oder weil sie trotzdem daran versterben. t a v i r p : o t o F r e h s e n y k s / . m o c k c o t S i : o t o F F V B : o t o F Glosse Gesetzes-Sport von Irja Most Fit bleiben, nicht nur körper- lich, sondern auch im Kopf. Dafür gibt es jetzt eine ganz neue Disziplin: KIG – Kreative Interpretation von Gesetzesvor- haben. Spielanleitung: Ergründe das Gesetz hinter dem Gesetz. Ganz schön knifflig. Hätten Sie gedacht, dass sich hinter dem GKV-Finanzstabilisierungs- gesetz das GKV-Finanzlö- cherstopfgesetz verbirgt? Und hinter dem Gesundheitsversor- gungsstärkungsgesetz gleich zwei Varianten schlummern: das Ausgabensteigerungs- gesetz und das Gutesvergü- tungssteigerungsgesetz. Und jetzt versuchen Sie sich an: Krankenhausversorgungsver- besserungsgesetz und Pfle- geunterstützungs- und Ent- lastungsgesetz. Kommen wir zur Zusatzaufgabe: Finden Sie Hashtags mit möglichst sper- rigen Begriffen, die im Ideal- fall eine komplette Handyzeile im Kurznachrichtendienst X überschreiten. Beispiel: #Arz- neimittellieferengpassbekämp- fungsundversorgungsverbesse- rungsgesetz. Extrapunkte gibt es, wenn am Ende ein einzel- ner Buchstabe verloren in die nächste Zeile fällt. Bonusrunde: Bauen Sie sich eine Parallelwelt aus Abkürzungen dazu auf – #ALBVVG – die nur ein erlese- ner Geheimkreis versteht. Erster Preis: galaktische Krönung zum Gesetznamen-Nerd. Ein riesiger Spaß für den Sommerurlaub! NordWestFAKTOR – Hrsg.: AOK NordWest, 44269 Dortmund, Kopenhagener Str. 1, Tel.: 0231 4193-0 Redaktion: Tom Ackermann (ta), Bernd Burghoff (bb), Melanie Eckart (me), Andrea Elsenplässer (ae), Philipp Emmerich (pe), Birgit Grundke (bg), Bernd Haindl (bh), Leiter des Stabsbereichs Politik der AOK NordWest (verantw.), Bernhard Hoffmann (bho), Kerim Köhne (kö), Susanne Mix (sm), Irja Most (imo), Andrea Wienecke (aw) Grafik: Anna Magnus Fotocredits @ AOK: Seite 1, 6, 7 Druck: Albersdruck, Düsseldorf Verlag: KomPart Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin, Tel.: 030 220 11-103 Nachdruck nur mit Genehmigung. 24.0266 I N G S E D - R / . m o c k c o t S i , K O A : u l l I