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NordWest FAKTOR Informationen und Positionen zum Gesundheitswesen 01/23 Bund und Länder: Schulterschluss gefragt Nur noch wenig Zeit bleibt, um eine Krankenhausreform auf den Weg zu bringen, die den Namen auch verdient. Wie das Vorhaben finanziert werden soll, ist noch unklar. D Tom Ackermann Vorstandsvor- sitzender der AOK NordWest Der Zeitrahmen ist eng, das Ziel ambitioniert: Bis zum Sommer wollen sich Bund und Län- der auf Eckpunkte zur Kran- kenhausreform verständigen. Noch fällt es schwer, eine gemeinsame Linie zu erkennen. Die Frage, ob und wie die von der Regierungskommission vor- geschlagenen Krankenhaus-Versorgungsstufen umgesetzt werden, bleibt vorerst unbeantwortet. Den Ruf der Länder nach mehr Beinfreiheit kann ich gut nachvollziehen. Zu eng, zu starr wäre das Level-Korsett für ihre Krankenhauspla- nung. Und die 1:1-Projektion des Stufenkonzeptes auf die heutige Kliniklandschaft führt zu vielerlei Fehlinterpreta- tionen. Doch die aufgeregte Diskussion der letzten Wochen sollte nicht den Blick auf das Wesentliche versperren: die Verbesserung der Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten. Immer noch behandeln Kliniken aus ökonomi- schen Gründen zu häufig Fälle ohne die passende personel- le und technische Ausstattung. Das muss dringend geändert werden. Mit dem Signal, die Krankenhausplanung künftig wie in NRW an Leistungsgruppen ausrichten zu wollen, mar- kiert die Bund-Länder-Gruppe einen wichtigen Fortschritt. Denn für mich bilden klar definierte Leistungsgruppen, die an verbindliche Qualitätsvorgaben geknüpft sind, das Herz- stück der Reform. Sie sind die praktikable Grundlage für eine bedarfsorientierte Planung und ermöglichen die rationale Vergabe von Versorgungsaufträgen mit den entsprechen- den Vorhaltepauschalen. Damit das ohne Friktionen funkti- oniert, bedarf es aber einheitlicher Definitionen und gleicher Maßstäbe. Und die sollten nicht verwässert werden. Jenseits der inhaltlichen Diskussionen müssen sich Bund und Länder alsbald ehrlich machen, wie sie die Modernisie- rung der Krankenhauslandschaft finanzieren wollen. Denn mit der Ausgliederung der Vorhaltepauschalen aus den DRGs wird das Investitionskostendefizit der Kliniken keines- wegs gelöst. Und die Transformation erfordert zusätzliche Investitionen – ohne einen gemeinsamen Schulterschluss wird es nicht gehen. • ta 3 Claudia Middendorf plädiert für barierefreie Zugänge in der Gesundheitsversorgung. 6 Wie betriebliche Pflege-Guides zu Rettern in der Not werden können. 9 Wo Deutschland bei der Ambulantisierung noch viel Luft nach oben hat. Inhalt AOK. Die Gesundheitskasse.
2 Rede und Antwort NWFAKTOR 01/23 Standpunkte GESETZENTWURF Lutz Schäffer alternierender Verwal- tungsratsvorsitzender der AOK NordWest Pflege in Not Allein 5,5 Milliarden Euro pandemiebe- dingte Kosten der sozialen Pflegever- sicherung wurden bis heute nicht vom Bund erstattet. Angesichts der desas- trösen Finanzlage in der Pflegeversi- cherung ein Skandal! Mich machen die Reformpläne der Regierung fassungs- los. Leistungsverbesserungen in allen Ehren, doch wie sollen die Beitrags- zahlenden weitere zusätzliche Kosten schultern, während der Bund gesamt- gesellschaftliche Aufgaben auf sie abwälzt? Eine finanzielle Stärkung der Pflegeversicherung sieht anders aus. Es wird Zeit, dass auch der Finanzmi- nister sich an die Zusagen im Koaliti- onsvertrag erinnert. Eine Solidarge- meinschaft lebt von Verlässlichkeit. Lippenbekenntnisse ohne Taten ge- fährden den sozialen Frieden. Johannes Heß alternierender Verwal- tungsratsvorsitzender der AOK NordWest Diversifizierung fördern Immer wieder wird von interessierter Seite versucht, einen Zusammenhang zwischen Lieferengpässen bei pa- tentfreien Arzneimitteln und Rabatt- verträgen zu konstruieren. Doch das deutsche Generika-Preisniveau für global auftretende Lieferausfälle ver- antwortlich zu machen, ist Unfug. Der Anteil Deutschlands am weltweiten Generikamarkt liegt nur bei vier Pro- zent. Das reicht nicht aus, um die Kon- zentration der Wirkstoffproduktion in Fernost und die damit verbundenen Probleme zu erklären. Deshalb wür- den nationale Preiserhöhungen keinen wirksamen Beitrag zur Diversifizierung der Wirkstoffherstellung leisten. Dazu bedarf es abgestimmter wirtschafts- politischer Fördermaßnahmen – auf nationaler und europäischer Ebene. Pflegereform greift zu kurz Der Koalitionsvertrag sieht eine dauerhafte finanzielle Stärkung und Leistungsverbesserungen in der Pflege vor. Das weckt hohe Erwartungen. Nun die Ernüchterung: etwas mehr Leistungen, deutlich höhere Beiträge. v o p o P y e r d n A / o t o h p k c o t S i : o t o F Die Belastungen für Beitragszahler steigen, Pflegebedürftige hoffen auf Verbesserungen. E Ende März hat Bundesgesund- heitsminister Lauterbach seine Reformpläne für die Pflegeversicherung konkretisiert. Demnach will er insbesondere die häusliche Pflege stärken. So sieht der Gesetzentwurf vor, das Pflege- geld und die Pflegesachleistungen ab 2024 um fünf Prozent anzuheben. Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Ja- nuar 2028 sollen die Geld- und Sach- leistungen dann in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dyna- misiert werden. Außerdem sollen die Leistungen für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege zu einem gemeinsa- men Jahresbudget zusammenge- führt werden, das dann flexibel für diese Leistungen eingesetzt werden kann. Um Pflegebedürftige in Heimen zu entlasten, sollen die Zuschüsse zu den Eigenanteilen ab 2024 eben- falls um fünf bis zehn Prozentpunk- te steigen. Der GKV-Spitzenverband moniert die vorgesehenen Leistungs- anhebungen als unzureichend. Sie würden deutlich hinter der Kosten- entwicklung der vergangenen Jahre zurückbleiben. So fand die letzte Er- höhung des Pflegegeldes 2017 statt – die im Gesetz für 2021 vorgesehe- ne Dynamisierung wurde ausgesetzt. Faktisch sei dadurch in den letzten Jahren eine laufende Entwertung der Angehörigenpflege eingetreten. Höhere Beitragssätze sollen die Fi- nanzlage in der sozialen Pflegever- sicherung stabilisieren. Bereits ab 1. Juli dieses Jahres soll der allgemei- ne Beitragssatz von 3,05 auf 3,4 Pro- zent angehoben werden, Kinderlose zahlen dann 4 Prozent. Für Eltern mit mehreren Kindern gelten – je nach Kinderzahl – abgesenkte Beitrags- sätze. Höhere Steuerzuschüsse sind laut Gesetzentwurf hingegen nicht zu erwarten. Dabei sieht der Koali- tionsvertrag ausdrücklich vor, versi- cherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Ange- hörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln zu finanzieren. Die Pflegekassen kritisieren daher die einseitige Zusatzbelastung der Beitragszahler und vermissen ein nachhaltiges Finanzierungskonzept. Allein die durch die Pandemie ent- standenen Mehrkosten belaufen sich auf 5,5 Milliarden Euro. Statt end- lich seiner eigenen Finanzverpflich- tung nachzukommen, plane der Bund nun weitere gesamtgesellschaftli- che Aufgaben auf die Pflegeversi- cherung abzuwälzen. Unterm Strich sollen die Beitragszahler sowohl für sämtliche reformbedingte Mehraus- gaben als auch für das strukturelle Defizit allein aufkommen. • bh
W R N P B B L : o t o F Rede und Antwort 3 NWFAKTOR 01/23 INKLUSION Ein Gesundheitssystem ohne Barrieren schaffen Claudia Middendorf will allen Menschen einen besseren Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung er möglichen. Hierzu seien nicht nur bauliche, sondern auch kommunikative Maßnahmen notwendig. Sie wurden 2022 als Beauftragte der Landesregierung NRW für Menschen mit Behinderung sowie für Patientin- nen und Patienten wiederberufen. Welche Fortschritte sehen Sie? Zusammen mit der Landesregierung, Akteuren der Selbsthilfe, den Verbän- den sowie weiterer Institutionen konn- ten wir viele Erfolge erzielen: Durch die Einrichtung der Koordinierungs- stelle nach dem Inklusionsgrundsätze- gesetz ist die politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen ge- stärkt worden. In der gesundheitlichen Versorgung wurden mit den Assistenz- leistungen im Krankenhaus Verbes- serungen erzielt. Es ist gelungen, das Amt der Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher nachhaltig zu stärken, indem sie als anerkannte Einrichtungen der Gesundheitsvorsor- ge gesetzlich verankert wurden. Wir haben in der Corona-Pandemie durch die Arbeit der Dialogstelle für Pflege- bedürftige, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen vielen Menschen helfen können. Welche Vorhaben stehen für die kommenden Jahre auf Ihrer Agenda? Eine barrierefreie Gesundheitsversor- gung steht auf meinem persönlichen Platz eins und ist damit für mich eine Querschnittsaufgabe und Herzens- angelegenheit zugleich. Insbesonde- re der demografische Wandel trägt dazu bei, dass wir die Gegebenheiten den Bedarfen anpassen müssen. Nicht Interview nur Menschen mit Behinderungen und ältere Patientinnen und Patienten pro- fitieren durch den Abbau von Barrie- ren. Bei der gesundheitlichen Versor- gung muss an alle Menschen gedacht werden. » Wir brauchen eine Beteiligung auf Augenhöhe. Claudia Middendorf, NRW-Beauftragte für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten Welchen Beitrag sollte NRW zur Realisierung von mehr Barrierefrei- heit leisten? Um wirkliche Barrierefreiheit zu errei- chen, muss man verstehen, dass neben baulichen auch kommunikative Maß- nahmen nötig sind. Wichtig ist, dass die Landesregierung den Weg der Um- setzung noch konsequenter fortführt. Der Koalitionsvertrag sieht einen Härtefallfonds für Betroffene bei Behandlungsfehlern vor. Wie stehen Sie zu der Idee? Menschen, die von Behandlungsfeh- lern betroffen sind, haben nicht selten eine schwere Last zu tragen, bis hin zu einer existenzbedrohenden Krise. Die Aufgabe der Politik muss es sein, Mög- lichkeiten zu schaffen, um diese Men- schen, die sich unvorbereitet in einer unverschuldeten Notsituation befin- den, zu unterstützen. Unbürokratische Hilfestellungen in Härtefällen für diese Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sind dringend notwendig. Welche Instrumente dazu am besten geeignet sind, wird auf der Bundesebe- ne entschieden, allerdings sollten die- se möglichst zielgerichtet und prakti- kabel für die Betroffenen sein. Sie kümmern sich auch um Angele- genheiten von Angehörigen. Wie können pflegende Angehörige besser unterstützt werden? Es ist wichtig, dass Maßnahmen ent- wickelt werden, um weitere bürokra- tische und finanzielle Entlastungen zu schaffen sowie die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf weiter zu verbessern. Eine Bundesratsinitia- tive für die Stärkung pflegender An- gehöriger werte ich positiv. Eine gut funktionierende Beratungs- und Un- terstützungsstruktur, der Abbau büro- kratischer Hürden, die Ausweitung der Rehabilitationsangebote, digitale An- gebote und eine Ausweitung von Ku- rangeboten sowie die Förderung von Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege- plätzen sind weitere Bausteine. • jj lbbp.nrw.de
4 Fakten und Hintergründe NWFAKTOR 01/23 DEBATTE ÜBER REFORM Operation Krankenhaus Wie wird die Krankenhauslandschaft der Zu kunft aussehen? Gefragt sind Kliniken, die sich auf ihre Stärken besinnen und dafür die entspre chende Finanzierung erhalten. Oberstes Ziel ist es, die Versorgungsqualität zu erhöhen. V Vor allem für schwerst- bzw. lebensbedrohlich erkrankte Patientinnen und Patienten ist es entscheidend, dass ihre Behandlung im dafür am besten geeigneten Krankenhaus erfolgt. Denn von der Erfahrung der Behandlungs- teams und der richtigen technischen Ausstattung hängen ihre Überlebens- und Heilungschancen entscheidend ab. Doch nicht immer erhalten sie die optimale Versorgung. Etwa bei der Diagnose Herzinfarkt: Von den rund 203.000 Fällen im Jahr 2020 wurden in Deutschland sieben Prozent in Kliniken behandelt, die über kein Katheterlabor verfüg- ten. Das Problem betraf mehr als 14.000 Herzinfarkt-Be- handlungen, wie das Online-Portal „Qualitätsmonitor“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt. Und auch bei Brustkrebs ist noch viel zu tun: Zwar erkennen Experten bei der Versorgung in den letzten Jahren eine ge- wisse Konzentration. Die vielfach kritisierte „Gelegenheits- chirurgie“ wird weniger, hat aber immer noch ein relevantes Ausmaß. So wurden nach WIdO-Angaben 2020 in 117 an der Brustkrebs-Versorgung beteiligten Krankenhäusern (20,3 Prozent) weniger als 25 Brustkrebs-Fälle operiert. Im Jahr 2016 betraf dies noch 157 Krankenhäuser (24,4 Prozent). „Man muss sich vor Augen halten, dass 25 OPs pro Jahr etwa einem Eingriff alle zwei Wochen entsprechen. Unter diesen Umständen kann man nicht davon ausgehen, dass es ein eingespieltes Team mit ausreichend Routine und eine eingespielte Prozesskette gibt“, sagt WIdO-Geschäftsfüh- rer Jürgen Klauber. Der Qualitätsmonitor macht sichtbar, dass 2020 insgesamt 43,8 Prozent der an der Versorgung von Brustkrebs-Fällen beteiligten Kliniken nicht über das Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) oder eine vergleichbare Zertifizierung verfügten. Diese Kliniken ver- sorgten knapp 15 Prozent der Brustkrebs-Fälle. Es handelt sich meist um Häuser mit wenigen Fällen. Der Qualitäts- monitor zeigt die regionalen Unterschiede auf: Während in Brandenburg knapp 65 Prozent der an der Versorgung be- teiligten Kliniken 2020 keine Zertifizierung als Brustkrebs- Zentrum hatten, konnten in Berlin alle operierenden Klini- ken ein solches Zertifikat vorweisen (siehe Karte). » Man kann nicht davon ausgehen, dass es immer ein eingespieltes Team mit ausreichend Routine gibt. Jürgen Klauber WIdO-Geschäftsführer Die Zahlen machen deutlich: Noch ist viel zu tun, eine ef- fektive Krankenhausreform tut dringend Not. „Je komple- xer die Leistungen, desto mehr Expertise und Spezialisie- rung sind erforderlich. Das muss sich künftig in der Krankenhausplanung und in der Vergütungssystematik wi- derspiegeln“, betont Thomas Fritz, als Unternehmensbe- reichsleiter bei der AOK NordWest für die stationäre Ver- sorgung zuständig. Dieser Kerngedanke der von der Regierungskommission empfohlenen Krankenhausreform dürfe in der weiteren Debatte nicht aufgeweicht werden. Fritz spricht sich deshalb für eine einheitliche Leistungs- gruppensystematik verbunden mit verbindlichen Quali- tätsanforderungen aus. „Hier brauchen wir ein gemeinsa- mes Verständnis und Verbindlichkeit. Klar definierte Leistungsgruppen sind die unverzichtbaren Leitplanken für die Verknüpfung der Krankenhausplanung mit den geplan- ten Vorhaltepauschalen“, so Fritz. Ohne einen verbindli- chen Maßstab für die Allokation von Vorhaltepauschalen würde es zu Verwerfungen zwischen der Bundes-, Landes- und Ortsebene kommen. Deshalb brauche es eine einheitli- che Planungssprache, die der G-BA entwickeln könne. Pla- nung und Sicherstellung des regionalen Versorgungsbedarfs obliege aber weiter der Landesebene. „Die fallunabhängi- ge Vorhaltefinanzierung hängt unmittelbar von den plane- risch festgelegten Versorgungsaufträgen ab. Durch diesen neuen Hebel bekommen die Länder einen viel stärkeren Einfluss auf eine bedarfsgerechte Gestaltung der Kran-
NWFAKTOR 01/23 Fakten und Hintergründe 5 kenhauslandschaft“, so Fritz. Denn Kliniken, die Leistun- gen außerhalb des Versorgungsauftrags erbringen, erhal- ten hierfür keine Vorhaltevergütung. Dadurch sinkt der ökonomische Anreiz für Gelegenheitsversorgungen. Im Ge- genzug fördert das die Konzentration bestimmer Leistun- gen und die Spezialisierung der Kliniken, womit sich viele der im Qualitätsmonitor aufgezeigten Defizite perspekti- visch verringern. Knackpunkt bleibt aber die Finanzierung der Transformation – denn mehr Geld für die Betriebskos- ten sieht die Vergütungsreform nicht vor. „Es wäre auch nicht richtig, wieder reflexartig den Geldhahn aufzudre- hen. In Deutschland fließen ja insgesamt viele Ressourcen in den stationären Sektor – nur werden diese Mittel bislang nicht bedarfsgerecht verteilt“, so Fritz. Folgerichtig soll das Herauslösen der Vorhaltekosten aus den DRGs finanz- neutral umgesetzt werden. „Bund und Länder sollten sich aber gemeinsam um die Investitionskosten kümmern“, so Fritz. • kö qualitaetsmonitor.de Auf einen Blick Kliniken ohne Zertifizierung als Brustkrebszentrum Anteil nach Bundesland in Prozent (2020) Noch immer nehmen viele Krankenhäuser Brustkrebsoperati- onen vor, die nicht dafür zertifiziert sind. In Schleswig-Holstein verfügt nicht einmal jede zweite der behandelnden Kliniken über eine Zertifizierung – 20,5 Prozent der Brustkrebsfälle wurden dort behandelt. In NRW liegt der Anteil der nicht zertifizierten Kliniken mit 39 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Auf die- se Kliniken entfielen dort 12,2 Prozent der Behandlungsfälle. In Berlin sind alle Kliniken zertifiziert. 44 % Bundesweit 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 55% Schleswig-Holstein 58% Mecklenburg-Vorpommern 33% Bremen 40% Hamburg 48% Niedersachsen 0% Berlin 56% Sachsen-Anhalt 65% Brandenburg 57% Thüringen 51% Sachsen 39% Nordrhein-Westfalen 46% Hessen 48% Rheinland- Pfalz 33% Saarland 23% Baden-Württemberg 51% Bayern Quelle: qualitaetsmonitor.de Gesetzgebung Digitalisierungsstrategie Stiftung beschlossen Werbeverbot für Dickmacher Mit einem Digitalgesetz will Bundesge- sundheitsminister Lauterbach der elek- tronischen Patientenakte (ePA) mehr Schub verleihen. Für jeden gesetzlich Ver- sicherten wird die ePA automatisch ein- gerichtet, sofern er nicht ausdrücklich widerspricht. Das „Opt-Out-Verfahren“ soll dafür sorgen, dass 80 Prozent der Versicherten bis 2025 über die ePA ver- fügen. Das E-Rezept soll bereits ab 2024 verbindlicher Standard werden. Die „Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ (UPD) wird ab 2024 eine Stiftung. Diese muss vom GKV-Spitzen- verband errichtet werden. Die Finanz- mittel werden kräftig aufgestockt: Statt bisher 10 Millionen Euro erhält die UPD künftig 15 Millionen Euro aus Beitrags- geldern. Daran kann sich die PKV frei- willig beteiligen. Leiten soll die neu aufgestellte UPD ein zweiköpfiger Stif- tungsvorstand. Bundesernährungsminister Özdemir will Kinder vor Werbung für ungesunde Le- bensmittel schützen. Dazu soll an unter 14-Jährige gerichtete Werbung für Zu- cker-, Fett- und Salzbomben zwischen sechs Uhr und 23 Uhr unzulässig sein. Um Schulen, Kitas oder Spielplätze soll es Plakat-Bannmeilen von 100 Metern ge- ben. Die AOK-Familienstudie 2022 stützt diesen Vorschlag: 80 Prozent der befrag- ten Eltern wünschen klare Vorgaben. Foto: iStockphoto / PeopleImages Foto: iStockphoto / sturti Foto: iStockphoto / monkeybusinessimages
6 Lokal und Regional NWFAKTOR 01/23 INNOVATIONSFONDSPROJEKT PFLEGE-GUIDES Wie Patientenlotsen helfen können Die Quadratur des Kreises gemeinsam angehen Ist die medizinische Versorgung nach einem Schlaganfall abgeschlossen, finden sich Patienten im Gesundheitssys tem oft nicht zurecht. „LEX Lotsen“ schafft Abhilfe. Was tun, wenn mitten im Berufsleben bei nahen Angehöri gen der Pflegefall eintritt. Rat bieten Betriebliche Pflege Guides, die in NRW in einem Programm ausgebildet werden. e g r a h c e p a h s : / o t o h p k c o t S i : o t o F dem Eine Lotsin bietet ihre Hilfe an. Mit Projekt „STROKE OWL“ wur- de die flächendeckende Einführung von Schlag- anfall-Lotsen in Ost- westfalen-Lippe erfolg- reich erprobt. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall- hilfe, die AOK Nord- West und weitere Krankenkassen haben sich an diesem Innovationsfondsprojekt beteiligt. Jetzt wird das An- schluss-Projekt „LEX Lotsen“ ebenfalls über den Innovati- onsfonds des G-BA gefördert. Dabei wird in den nächsten drei Jahren evaluiert, wie eine Lotsentätigkeit gesetzlich verankert und der Einsatz am besten organisiert werden kann. Es geht auch um ganz praktische Fragen, etwa: Wo sind Patientenlotsinnen und -lotsen angestellt? Wie wer- den die Leistungen abgerechnet? Beteiligt sind neben der AOK NordWest und weiteren Kassen auch die Kreise in Ostwestfalen-Lippe. Im Erfolgsfall dienen die Ergebnisse des Projekts als Grundlage für eine Aufnahme von Pati- entenlotsen in die Regelversorgung. Die Fördersumme für das Projekt beträgt rund sieben Millionen Euro. • en e s e o r F d e r F / o t o h p k c o t S i : o t o F Wenn ein Pflegefall eintritt, müssen Angehörige vieles organisieren und bedenken. Pflege-Guides informieren als Vertrauenspersonen im Be- trieb über Hilfsangebote wie Pflegeberatung oder Wohnbe- ratungsstellen. Ziel ist es, ein tragfähiges Pflegearrange- ment zu finden, das erwerbs- tätige pflegende Angehörige unterstützt und gleichzeitig ihre berufliche Situation sta- bilisiert. Die AOK NordWest und die AOK Rheinland/Ham- burg finanzieren die Qualifizierung der Pflege-Guides. Die weiteren Kosten werden je zur Hälfte vom Gesundheitsmi- nisterium NRW und den Landesverbänden der Pflegekassen zusammen mit dem Verband der Privaten Krankenversiche- rung zunächst für drei Jahre übernommen. Die Anmeldung erfolgt zentral über die Website des Landesprogramms un- ter berufundpflege-nrw.de. Ein vergleichbares Angebot besteht im Bereich Schles- wig-Holstein unter dem Namen „Betriebliche Pflegelotsen“. Initiiert wurde das Programm vom Unternehmensverband Nord, der AOK NordWest, dem Verband der Ersatzkassen (vdek) und dem Landessozialministerium. • csb schlaganfall-hilfe.de/de/aktuelles/2022/ patientenlotsen-in-der-regelversorgung Interessierte an einer Schulung in Schleswig-Hol- stein wenden sich an petersen@uvnord.de Kurz gemeldet aus WestfalenLippe und SchleswigHolstein Heiner Garg führt Patientenombudsverein Dr. Heiner Garg ist neuer Vorsitzen- der des Patientenombudsvereins. Der ehemalige Gesundheitsminister aus Schleswig-Holstein will den Ver- ein bekannter machen und mittelfris- tig mehr Ombudsleute ins Boot ho- len. Außerdem soll der Fokus stärker auf Pädiatrie und Pflege ausgerichtet werden. Auf die zahl- reichen Herausforde- rungen in diesen Be- reichen gibt es nach seiner Meinung nicht überall befriedigen- de Antworten. Bislang verfügt der Ver- ein nur über eine zentrale Pflege-Om- budsfrau für das Land. Garg hält dies grundsätzlich in jedem Landkreis für sinnvoll. Der Verein Patientenombuds- mann /-frau Schleswig-Holstein ver- tritt Patienteninteressen, vermittelt bei Konflikten und berät bei Proble- men im Pflegebereich – unter anderem bei Meinungsverschiedenheiten mit Ärzten, Kliniken, Krankenkassen, Apo- theken und Pflegediensten. Die Leis- tungen der Ombudsleute sind unab- hängig, kostenfrei, ehrenamtlich und neutral. patientenombudsmann.de Belastungen beeinflussen das Wohlbefinden Der Gesundheitszustand in vielen Familien hat sich seit dem Jahr 2018 verschlech- tert. Laut AOK-Familienstu- die fühlen sich nur 60 Prozent der Familien in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein gesund. Besonders Alleinerziehende und Eltern mit niedri- gem sozioökonomischen Status bewer- ten ihre tägliche Belastung höher und ihre Gesundheit schlechter. Befragt wurden bundesweit 8.500 Elternteile zum Ernährungs- und Bewegungsver- halten sowie zu Belastungsfaktoren.
/ o t o h p k c o t S i : o t o F p i t m a s t e h K a n m A j NWFAKTOR 01/23 Lokal und Regional 7 ELEKTRONISCHE PATIENTENAKTE RETTUNGSWESEN Mehr Gesundheitsdaten im Blick behalten „Hungriger Wolf“ wird Standort für Hubschrauber In der „AOK Mein Leben“App, der elektronischen Patien tenakte (ePA) der AOK, werden Daten sicher gebündelt. Dort gibt es einen Überblick über die Gesundheitshistorie. Das Land SchleswigHolstein bekommt einen weiteren Rettungstransporthubschrauber. Damit gibt es künftig einen vierten Standort für einen Helikopter. „Gefaxte Befundberichte las- sen wir hoffentlich bald hinter uns“, so André Grave, Projekt- leiter ePA der AOK NordWest. Zahnbonusheft und Impfpass sind bereits integriert. Seit 2023 können auch Daten aus den ebenfalls digitalen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigun- gen und aus strukturierten Behandlungsprogrammen, den DMPs, in die ePA übermittelt werden. Auch ärztlich ver- ordnete DiGAs können gespeichert werden. Neu ist der Ab- sprung zum Gesundheitsportal gesund.bund.de. Nach den Plänen des BMG sollen bis 2025 mindestens 80 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine ePA ver- fügen. Die bisher freiwillige Einrichtung soll für alle gesetz- lich Versicherten grundsätzlich verpflichtend werden. Ver- sicherte, die keine ePA wollen, müssen der Einrichtung dann aktiv widersprechen, das sogenannte Opt-Out-Verfahren. „Selbst 42 Prozent derjenigen, die die ePA nicht nutzen wol- len, befürworten ein Opt-Out“, so Grave. Eine Umfrage be- stätigt das große Vertrauen der Versicherten in die Ärzte- schaft und die Krankenkassen im Umgang mit Daten. Bisher nutzen bundesweit 600.000 Versicherte die ePA. • ag aok.de > Leistungen & Services > Unsere Services für Versicherte > Elektronische Patientenakte g n u t t e r t f u L H S Z : o t o F Aktuell sind drei Ret- tungstransporthub- (RTH) an schrauber den Standorten in Schachtholm, Niebüll und Siblin stationiert. Das Land Schleswig- Holstein hat die Leis- tungsfähigkeit des bestehenden Luftrettungssystems gutachterlich prü- fen lassen. Daraus resultierend hat sich das Land ge- meinsam mit den Krankenkassen darauf verständigt, ab 2024 einen vierten Standort auf dem Flugplatz „Hungri- ger Wolf“, nordöstlich der Stadt Itzehoe im Kreis Stein- burg, einzurichten. Im Notfall ist Christoph 12 schnell zur Stelle. Die RTH werden primär in der Notfallrettung einge- setzt, wenn gegenüber dem bodengebundenen Rettungs- dienst ein zeitlicher Vorteil besteht oder ein Einsatz auf den Inseln oder Halligen notwendig ist. Dabei geht es da- rum, den Notarzt zum Einsatzort zu bringen, Patienten ins Krankenhaus zu transportieren oder zu verlegen. Die ge- samten Kosten für die Luftrettung werden von den Kran- kenkassen refinanziert. „Die Ausschreibung des schles- wig-holsteinischen Gesundheitsministeriums für die Leistungsanbieter ,Luftrettung’ startet demnächst“, be- richtet André Brüninghoff, Fachbereichsleiter Fahrkosten der AOK NordWest. • sl Dazu zählen finanzielle und partner- schaftliche Belastungen sowie alltäg- licher Zeitdruck. Kinder klagen über gesundheitliche Probleme beim Ein- schlafen, Bauch- und Kopfschmerzen sowie Schwindel. „Schlechte Elternge- sundheit wirkt sich negativ auf die all- gemeine Gesundheit von Kindern aus“, sagt Dirk Pisula, Fachbereichsleiter Prävention der AOK NordWest. Auch der Abschlussbericht der interministe- riellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendli- che durch Corona“ nimmt Bezug auf die AOK-Familienstudie. aok.de/pk/familienstudie Mit dem VorsorgOMat Leben retten Regelmäßige Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung können Leben ret- ten. Dennoch nehmen viele Menschen das Angebot nicht oder nur unregel- mäßig wahr. Zuletzt war die Nach- frage im Zuge der Corona-Pandemie weiter zurückgegangen. Um die Bedeu- tung von Vorsorgeuntersuchungen zu unterstreichen, hat die AOK gemein- sam mit der Deutschen Krebsgesell- schaft erstmalig im vergangenen No- vember zum „Tag der Krebsvorsorge“ aufgerufen. Als Angebot zum Aktions- tag hat die AOK den „Vorsorg-O-Mat“ entwickelt. Das per- sonalisierte Online- Tool verrät Nutze- rinnen und Nutzern, welche Krebsvorsor- geuntersuchung sie als Nächstes machen sollten. Die An- wendung erstellt dabei einen individu- ellen Vorsorgeplan und ermöglicht es auf unkomplizierte Art, eine Arztpra- xis in der Nähe zu finden. Sie hilft also dabei, keine Untersuchung mehr zu verpassen. aok.de > Körper & Psyche > Krebs > Früherkennung kann Leben retten
8 Innovation und Praxis NWFAKTOR 01/23 Praxis AOK-NUTZERBEFRAGUNG n e n a i l a s e V o r e T / o t o h p k c o t S i : o t o F Was ist eigentlich ... ... der SVR? Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (SVR) ist das renommier- teste Gremium wissenschaftli- cher Politikberatung im deut- schen Gesundheitswesen. Er umfasst sieben Mitglieder, die für vier Jahre vom Bundesge- sundheitsminister berufen wer- den. Der SVR hat die Aufgabe, ein – nunmehr jährlich erschei- nendes – Gutachten zu erstellen und die Entwicklung in der ge- sundheitlichen Versorgung und Pflege mit ihren Auswirkungen zu analysieren sowie Prioritäten für den Abbau von Versorgungs- defiziten und Überversorgungen zu entwickeln. Darüber hinaus legt er Vorschläge für medizini- sche und ökonomische Orientie- rungsdaten vor und zeigt Wege zur Weiterentwicklung auf. Eine Reihe von Vorschlägen sind von der Politik aufgegriffen worden, etwa das Konzept der sektoren- übergreifenden Versorgung und eine Neuorganisation der Not- fallversorgung. Auch zur Weiter- entwicklung der Krankenhaus- planung und -finanzierung hat der Rat Ideen entwickelt, die in die aktuelle Diskussion um die Krankenhausreform einfließen. In seinem jüngsten Gutachten kommt der SVR zu dem Ergeb- nis, dass das Gesundheitswesen nicht ausreichend auf neue Pan- demien und andere Krisen vor- bereitet ist. Seit dem 1. Februar tagt der Rat in neuer Zusam- mensetzung. Von den bisherigen Mitgliedern gehört nur noch der Gesundheitsökonom Prof. Jonas Schreyögg dem Gremium an. Ur- sprünglich nur mit dem Gesund- heitssystem befasst, nimmt der SVR verstärkt auch das Thema Pflege in den Blick. Digitale Gesundheitsanwedungen: Grundsätzlich gut, aber nicht gut genug Apps auf Rezept (DiGAs) müssen besser in die Versorgung integriert werden. Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen muss es einen Nutzennachweis geben. Verhandelte Preise sollten ab Beginn gelten. Inzwischen lässt sich rund um die Gesundheit vieles von unterwegs mobil organiseren. D Digitale Gesundheitsanwendun- gen werden von den Versicher- ten der AOK insgesamt positiv bewertet. Das zeigen die Ergebnisse ei- ner AOK-Nutzerbefragung. Mehr als die Hälfte der Versicherten bewerten eine DiGA als sinnvolle Ergänzung zu ihrer Therapie. Als größten Vorteil erachten rund zwei Drittel der 2.600 Befragten, dass sie sich die Behandlung zeitlich flexibel einteilen können. Und dennoch sind sie zurückhaltend, sie weiterzu- empfehlen. Die Fakten: Nur etwa jeder Fünfte be- zeichnet die verschriebene App als „un- verzichtbar“. 18,2 Prozent hatten Pro- bleme, die digitalen Therapieinhalte umzusetzen. In der Hälfte der Fälle fand keine Nachbesprechung mit dem Arzt oder Therapeuten statt. Und für 17 Pro- zent der Versicherten passten die Inhal- te nicht zur Krankheitssituation. „Die Ergebnisse spiegeln wider, dass die ge- nutzten DiGAs nicht immer dem Bedarf und den Bedürfnissen der Versicherten entsprechen“, sagt Bernd Marchlowitz, Unternehmensbereichsleiter Ambulante Versorgung bei der AOK NordWest. Unklarer Nutzen: Von den im Januar 2023 insgesamt 40 im DiGA-Verzeich- nis gelisteten Anwendungen waren 25 zur Erprobung aufgenommen, haben so- mit noch keinen Nachweis der Wirksam- keit erbracht. So bleibt zunächst un- klar, ob sie überhaupt einen positiven Effekt auf die Versorgung haben. Kritik übt Marchlowitz auch an den Preisen. Die Unternehmen können im ersten Jahr der Aufnahme einen beliebig hohen Preis festlegen, der von der gesetzlichen Kran- kenversicherung für diesen Zeitraum er- stattet werden muss. Das Preisspek- trum reicht dabei von 119 Euro für eine Einmallizenz bis zu 952 Euro für 90 Tage. „Die in der GKV bestehenden Grundsät- ze einer evidenzbasierten Medizin sowie der Verhältnismäßigkeit und Wirtschaft- lichkeit müssen für DiGA ebenso gelten wie für alle anderen GKV-Leistungen“, so Marchlowitz. Und es bedarf einer Har- monisierung der Rahmenbedingungen für DiGA mit anderen GKV-Leistungsbe- reichen. Leistungserbringende und der GKV-Spitzenverband sollten in den Zu- lassungsprozess einbezogen werden. Ergebnis der Befragung war auch, dass fast jeder Vierte die Nutzung der DiGA vorzeitig abgebrochen hat. Dennoch muss die Krankenkasse den vollen Preis bezahlen. „Sinnvoll wäre deshalb, dass Versicherte die Anwendung zunächst für einen bestimmten Zeitraum tes- ten, bevor sie dauerhaft verordnet wird. Dann könnten sie prüfen, ob die Inhal- te, die Verständlichkeit und der Nutzen der DiGA ihren Anforderungen entspre- chen“, meint Marchlowitz. • hw
NWFAKTOR 01/23 Innovation und Praxis 9 Viel Potenzial zur Ambulantisierung Medizinischer Fortschritt, Fachkräftemangel, knappe finanzielle Ressourcen: Die Notwendigkeit, die Ambulantisierung bislang stationär erbrachter Leistungen voranzutreiben, ist unter Experten unstrittig. Und das Potenzial ist groß – wie der Vergleich mit anderen europäischen Staaten zeigt. Mit dem Prinzip „ambulant vor stationär“ ließen sich bei vielen Operationen und Behandlungen Ressourcen sparen. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die Potenziale hierzulande nicht ausgeschöpft werden: So fanden 2018 in Dänemark nur gut 13 Prozent der Leis- tenbruch-Operationen stationär statt, während es in Deutschland fast 100 Prozent waren. Auch Eingriffe wie Gallenblasen- oder Mandel-Entfernungen finden in Deutschland deutlich häufiger vollstationär statt. So erfolgten im Jahr 2018 hierzulande 100 Prozent der Gallenblasen-Entfernungen vollstationär, während es in Großbritannien 52,7 Prozent und in Dänemark sogar lediglich 44,1 Prozent waren. Auch die unterschiedliche Vergütung von stationär erbrachten Leistungen und ambulanter Behandlung setzt Anreize, dass Behandlungen stationär erfolgen, die auch ohne eine Unterbringung im Krankenhaus mög- lich waren. Deshalb gilt nun für bestimmte Behandlun- gen eine sektorengleiche Vergütung. Krankenkassen, Krankenhäuser und Kassenärzte müssen dazu einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen sowie • kö eine entsprechende Vergütung festlegen. Deutschland kann von anderen Staaten in Europa lernen Gesamtzahl der Eingriffe pro 100.000 Einwohner und Anteil vollstationär durchgeführter Eingriffe in Prozent (2018) Ein Vergleich mit einigen anderen Staaten in Europa zeigt: Eingriffe wie Gallenbla- sen-, Mandel-Entfernungen oder Leisten- bruch-Operationen finden in Deutschland deutlich häufiger vollstationär statt. 0 2 0 2 , D C E O : e l l e u Q
10 Innovation und Praxis NWFAKTOR 01/23 REFORM DER NOTFALLVERSORGUNG Wohin, wenn es ernst wird? Die Notfallversorgung in Deutschland soll grundlegend verändert werden. Dafür hat die von der Bundesregierung eingerichtete Klinikreformkommission ihre Empfehlungen vorgelegt. Neue Strukturen geplant IT-Plattform D Die Notfallversorgung soll grundlegend refor- miert werden. Dafür legte die von der Bundes- regierung eingerichtete Klinikreformkommission ihre Empfehlungen vor. Diese enthalten im Kern Regelungen zu Integrierten Leitstellen (ILS) und Integrierten Notfallzentren (INZ). Empfehlungen zum Ret- tungsdienst wurden explizit ausgeklammert und sollen zu ei- nem späteren Zeitpunkt vorgestellt werden. Empfohlen wird ein flächendeckender Aufbau von ILS, bei denen die Notfall- nummern 112 des Rettungsdienstes und 116 117 der Kas- senärztlichen Vereinigungen (KV) zusammenlaufen, um Pati- enten mittels einer standardisierten Ersteinschätzung in die richtige Versorgungsebene zu steuern. Je nach Dringlichkeit soll der Notfall an die KV-Notdienstpraxis, die INZ-Notauf- nahme weitervermittelt oder ein Termin in einer Arztpraxis angeboten werden. Bei zeitkritischen Fällen wären der KV- Notdienst, ein Krankentransport oder die Notfallrettung die Mittel der Wahl. Angestrebt wird eine möglichst abschlie- ßende Behandlung des Notfalls. Dazu soll das Angebot der ILS erweitert werden, etwa mit telemedizinischer Beratung und der Verordnung von Notfallmedikamenten. Integrierte Notfallzentren sollen in allen Krankenhäusern der erweiter- ten Notfallstufen II und III aufgebaut werden. Im Ausnahme- fall können INZ auch an Krankenhäusern der Basisnotfall- Drei Fragen an ... Marc König Unternehmensbereichsleiter Service- leistungen bei der AOK NordWest Effizientere Strukturen schaffen Eine funktionierende Notfall und Akutversorgung ist essenzieller Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Dazu gehört auch ein gutes Rettungswesen. 1. Laut Koalitionsvertrag soll in NRW das Rettungswesen neu gestaltet werden. Was sagt die AOK NordWest dazu? Auch wir sehen dringenden Handlungs- bedarf. Viele Rettungseinsätze erwei- sen sich als unnötig, weil andere Ver- sorgungsformen ausreichend gewesen wären. Das ist teuer und blockiert wert- volle Ressourcen für dringende Notfäl- le. Auch angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels müssen effiziente- re Strukturen geschaffen werden. 2. Wo sehen Sie Ansätze? Ein wichtiger Schlüssel liegt in dem Zusammenspiel zwischen Rettungs- leitstellen und ärztlichem Bereit- schaftsdienst. Ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren würde dazu beitragen, dass Hilfesuchende besser in die für sie richtige Versorgung t s e W d r o N K O A : o t o F
NWFAKTOR 01/23 Innovation und Praxis 11 versorgung oder alternativ an 24/7-MVZ mit telemedizinischer Anbindung implementiert werden. Eine zentrale Ersteinschätzungsstel- le, ein „gemeinsamer Tresen“, weist die Hilfe- suchenden direkt der notwendigen Behand- lung zu. Die pädiatrische Notfallversorgung soll flächendeckend mit integrierten Notfall- zentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) si- chergestellt werden. „Die Patienten brau- chen endlich eine zen trale Anlaufstelle und eine Notfallversorgung aus einer Hand. Wich- tig ist, dass die sektorale Trennung überwun- den wird. Mit der Schaffung von Integrierten Leitstellen zeigt die Reformkommission den richtigen Weg auf“, so Bernd Marchlowitz, Unternehmensbereichsleiter Ambulante Ver- sorgung, AOK NordWest. Die Kommission empfiehlt zudem die ver- bindliche Planung der INZ durch ein regio- nales Gremium aus Ärzte-, KV- und Kran- kenhausvertretern sowie Planungsbehörden. Zur Finanzierung werden zwei Varianten vor- geschlagen: Nach Variante eins werden KV- Praxen und Notaufnahmen innerhalb der jeweils bestehenden Systeme vergütet. Va- riante zwei sieht einen gemeinsamen Finan- zierungstopf vor, der sich aus den vorhande- nen Vergütungssystemen speist. „Wir regen an, dass die INZ als eigenständige Organisa- tionseinheiten verankert werden, um die bis- her stark fragmentierten Versorgungsstruk- turen zu überwinden. Es sollte darum gehen, dass ohne ökonomische Beeinflussung und nach medizinischen Kriterien die richtige Ver- sorgungsebene angesteuert wird. Dazu ge- hört auch ein eigenständiges Budget mit neu- em Entgeltsystem“, so Marchlowitz. • hw geleitet werden. Hier sollte NRW eine Vorrei- terrolle übernehmen. 3. Welche weiteren Baustellen sehen Sie? In NRW gibt es noch viele kleine und sehr heterogen organisierte Leitstellen. Das ist aus unserer Sicht weder effizient noch zeit- gemäß. Wir halten eine pro Regierungsbe- zirk für mehr als ausreichend. Mit modernen, nach gleichen Standards ausgestatteten und überregional agierenden Leitstellen könnten digitale Versorgungsformen wie der Telenot- arzt viel effizienter und flächendeckend zum Einsatz kommen. Deshalb begrüßen wir die im Koalitionsvertrag angedachte einheitli- che und kooperative Rettungsdienstplanung. AOK & Medien Mit T(t)witter(n) Direkt vernetzt mit den Teams Presse & Politik der AOK NordWest – ganz einfach über: @AOKNORDWEST twitter.com/AOKNORDWEST Neues aus dem AOKKosmos ArzneimittelKompass Der Arzneimittel-Kompass 2022 widmet sich schwerpunktmäßig dem Thema „Qualität der Arzneimittelversorgung“. Dabei stehen die Qualitätssicherung und das Qualitätsma- nagement im Fokus. Zentrale Entwicklungen im Arzneimittelmarkt werden analysiert und beschrieben. Mehr lesen: wido.de > Publikationen & Produkte > Buchreihen > Arzneimittel-Kompass > 2022 Heilmittelbericht 2022/2023 „Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben“, lau- tet das Fazit im aktuellen Heilmittelbericht für das Schwerpunktthema Sprachthera- pien bei Kindern in der Pandemie. Insgesamt wurden 2021 rund 38,4 Millionen Rezepte für Ergo-, Sprach- und Physiotherapie sowie Podologie für GKV-Versicherte abgerechnet und ausgewertet. Mehr lesen: wido.de > Publikationen & Produkte > Buchreihen > Heilmittelbericht > 2022/2023 OnlinePortal „Qualitätsmonitor“ des WIdO Das Portal beleuchtet struktu- relle Defizite bei der stationä- ren Versorgung von Herzinfarkt, Brustkrebs und Lungenkrebs. Trendanalysen, regionale Ver- gleiche oder die Bewertung ein- zelner Kliniken können für die Planung in den Bundesländern eine wertvolle Hilfe sein. Die Da- ten werden jährlich aktualisiert. Mehr Infos: qualitaetsmonitor.de
12 Ein- und Ausblicke NWFAKTOR 01/23 MARGARINE RGARINE Glosse Liegen fürs Klima von Kerim Köhne Krankenhauskost ist kein Fünf-Sterne-Menü, und zu Hause schmeckt‘s eh am bes- ten: Wer ins Krankenhaus kommt, stuft seine Erwar- tungen ans Essen meist so- wieso zurück. Jetzt wird das Geschmackserlebnis noch weiter getrübt, zumindest für butterliebende Patientinnen und Patienten eines Hambur- ger Klinikverbunds: Wer ge- setzlich versichert ist, kriegt dort nur noch Margarine ser- viert, während Privatpatien- ten weiter Butter aufs Brot geschmiert bekommen. Der Konzern spart so in Hamburg 330.000 Euro pro Jahr. Klar, Butter ist teuer geworden – das spürt jeder von uns beim Gang in den Supermarkt. Nun werden die Patienten sicher nicht Butter als Ausschluss- kriterium für einen Aufenthalt in einer Klinik ansehen. Wer hat bei einem Notfall schließ- lich die Wahl? Vielleicht hat aber alles auch sein Positi- ves, denn Wissenschaftler haben herausgefunden: Das Streichfett ist in der Herstel- lung extrem klimaschädlich, es entstehen pro Kilogramm Butter fast 24 Kilogramm CO2. Vielleicht sollten die Kli- nik-Manager also einfach aus der Not eine Tugend machen und in die Offensive gehen. Nach dem Motto: „Bei uns lie- gen – und Gutes für die Um- welt tun!“ PODCAST Pflegefall – und was kommt jetzt? Plötzlich Pflegefall – das ist ein kom- plexes Thema. Mitarbeitende der AOK NordWest erklären mit dem Moderator Christian Köbke vom „Übergabe“-Pod- cast das Thema Pflege – verständlich, authentisch und empathisch. Die The- men: Anträge stellen, Pflege organisie- ren und den Alltag gestalten. Jede Folge berichtet aus einem anderen Blickwin- kel und mit erfahrenen Mitarbeitenden, die auch über das Gehörte hinaus in der Pflegeberatung der AOK NordWest Ver- sicherten zur Seite stehen. In den Interviews kommen fachli- che Aspekte und privatere Situationen zur Sprache. Die verschiedenen Pfle- gegrade, die Vereinbarkeit von Be- ruf und Pflege, die Verhinderungspfle- ge und die Abgrenzung von ambulanter und stationärer Pflege werden thema- tisiert. Unter #nichtallein sind die Pod- casts auf den Seiten der AOK Nord- West, des „Übergabe“-Podcasts oder über die bekannten Streaming-Dienst- leister wie Spotify, Deezer oder Apple zu hören. „Wir holen mit diesem neuen Format das Pflegethema aus der Tabu- zone mitten in die Gesellschaft“, sagt Maik Vonau, Fachbereichsleiter Pflege der AOK NordWest. • dk aok.de/pk/nordwest/ pflegeexperte l g a n f u H e n n A : o t o F Sollte an Kinder gerichtete Werbung reguliert werden? Pro Kontra Renate Künast MdB, Bündnis 90/Die Grünen, und ehemalige Bundesland- wirtschaftsministerin Christina Stumpp MdB, CDU, und stellvertretende CDU- Generalsekretärin Ja. Bereits 15 Prozent der Kinder sind übergewichtig, 6 Prozent adi- pös. Fehlernährung gilt als so ge- fährlich wie rauchen, jeder sieb- te Todesfall in Deutschland geht darauf zurück. Deshalb wollen wir Kindermarketing für zu süße, sal- zige, fettige Lebensmittel regu- lieren. Denn mit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention haben wir uns verpflichtet, das Recht der Kinder auf Gesundheit zu schüt- zen und zu fördern. Im Ziel sind wir uns einig: Es ist wichtig, unsere Kinder durch besse- re Sportangebote vor Übergewicht zu schützen und ihre Ernährungs- kompetenz bereits von Kita-Beinen an zu stärken. Aber Werbeverbo- te halte ich für den falschen Weg. Sie sind ein dirigistischer Eingriff in die unternehmerische Freiheit und unverhältnismäßig, solange die Bundesregierung keine wissen- schaftlichen Erkenntnisse zu deren Wirksamkeit vorlegt. r e h c t t ö B n e f f e t S / U D C : o t o F NordWestFAKTOR – Hrsg.: AOK NordWest, 44269 Dortmund, Kopenhagenerstr. 1, Tel.: 0231 4193-0 Redaktion: Tom Ackermann (ta), Marlene Grünberg (mg), Melanie Eckardt (me), Andrea Elsenplässer (ae), André Grave (ag), Bernd Haindl (bh), Leiter des Stabsbereichs Politik der AOK NordWest (verantw.), Bernhard Hoffmann (bho), Julia Jankovic (jj), Kerim Köhne (kö), Daniel Kunz (dk), Stephan Lange (sl), Susanne Mix (sm), Elke Neuhaus (en), Christian Schulze-Bockholt (csb), Heiko Wortmann (hw) Grafik: Sybilla Weidinger (Creative Director), Anna Magnus Fotocredits @ AOK: Seite 1, 4, 6, 7, 9, 12 Druck: Albersdruck, Düsseldorf Verlag: KomPart Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin, Tel.: 030 220 11-103 Nachdruck nur mit Genehmigung. 230316